Bildungsministerium hört nicht zu und verliert sich stattdessen in reiner Propaganda! Zu den Presseauftritten des Bildungsministeriums im Nachgang zur Expertenrunde am 07.12.2020

Am Abend des 7. Dezember 2020 traf sich auf Einladung des Bildungsministeriums und des Landeselternbeirats eine illustre Runde aus Expertinnen und Experten, darunter Prof. Alexander Kekulé, Dr. Jana Schroeder, Prof. Markus Scholz, Prof. Christian Kähler, Prof. Wieland Kiess, Prof. Philipp Zanger, Prof. Hans-Martin Seipp und Dr. Wolfgang Kohnen. Die Debatte diente der Fortführung einer Diskussion aus zwei früheren Videoschalten.

 

Die gestern verschickte Pressemitteilung des Bildungsministeriums löste bei einigen Beteiligten der Konferenz deutlichen Unmut aus. Dem Philologenverband liegen Stellungnahmen von beteiligten Wissenschaftlern vor, darunter die von Dr. Jana Schroeder an das Bildungsministerium:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

gerade erhalte ich Ihre Pressemitteilung und frage mich, ob Sie in einer anderen Konferenz waren als ich? Gleichwohl steht mein Name darunter.


So funktioniert das also in der Politik – Sie wollen offenbar beraten werden, aber nicht zuhören. Dass „die Mehrheit“ der Experten sich in dem untenstehenden Statement einig war, ist schlichtweg falsch und konnte diesem Format alleine schon formal gar nicht entnommen werden. Da Ihre Presseerklärung suggeriert, ich hätte dieser als Expertin inhaltlich zugestimmt, was nicht der Fall war und ist, erwarte ich, dass Sie dies entweder richtigstellen oder meinen Namen unter Ihrem Statement entfernen.


Zu Ihrer Erinnerung war mein Beitrag zu Ihrer Konferenz folgender:


„In der Zusammenschau und Bewertung aller vorliegenden Daten zur Infektiosität von Kindern kann man nicht schließen, dass diese keine Rolle im Infektionsgeschehen haben. In der Pandemie gibt es führende wissenschaftliche Institutionen, die unter anderem genau für den Fall einer Pandemie eingerichtet wurden, um Empfehlungen und Vorgaben zu Verhalten zu erarbeiten. Die Krankenhäuser vertrauen auf diese und stehen in der Pflicht, die Vorgaben des RKI umzusetzen - warum dies nicht für die restliche Bevölkerung bzw. für andere Institutionen gelten soll, erschließt sich mir nicht.

 

Wir sehen, dass die Anzahl der Neuinfektionen trotz veränderter Teststrategie und dem aktuellen „Lockdown“ nicht adäquat sinken, und wir sehen auch, dass es auch in Schulen zu Übertragungen, zu Superspreader-Events kommen kann. Selbst wenn das Infektionsgeschehen an Grundschulen geringer sein sollte als in der Restbevölkerung, kann auch dies keine Argumentation für weniger Schutzmaßnahmen sein – die Anschnallpflicht gilt auch schon bei Tempo 30 und nicht erst bei 100 km/h.“

 

Viele Grüße

Dr. Jana Schroeder

Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie & Infektionsepidemiologie, Infektiologin   

 

Prof. Markus Scholz ist ebenfalls negativ überrascht: „Die unten genannte Pressemitteilung ist mit mir weder abgestimmt noch wurde mir diese direkt zugestellt noch kann ich diese inhaltlich nachvollziehen bzw. unterstützen. Die Erklärung suggeriert eine Einigkeit, die dem tatsächlichen Diskussionsverlauf nicht entspricht, und ist mehr oder weniger reine Propaganda statt ernsthafter inhaltlicher Auseinandersetzung mit dieser Problematik. In Anbetracht der aktuellen äußerst besorgniserregenden Lage für unser Land finde ich das sehr bedauerlich und protestiere hiermit gegen dieses Vorgehen und diese Art der Vereinnahmung und Verfälschung. Ich bitte um Streichung meines Namens unter der Erklärung, da ich diese in dieser Form nicht unterstützen kann, eben dies aber durch die Darstellung suggeriert wird.“

 

Eine besondere Form der Diskreditierung erfuhr Prof. Scholz offenbar durch schlechte Recherche auf Seiten des Bildungsministeriums – wir gehen hier nicht von Vorsatz aus: So wurde er als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ tituliert; tatsächlich aber ist Scholz berufener Professor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Universität Leipzig.

 

Auch die Aussagen von Prof. Alexander Kekulé werden verfälscht wiedergegeben; im Nachgang zur Veranstaltung schreibt er in Richtung Bildungsministerium: „Die beiden Sätze sind nicht von mir. Bitte nur zitieren, was ich tatsächlich gesagt habe.“ Auf der Veranstaltung erläuterte er, dass es eine „Divergenz zwischen virologischen und epidemiologischen Daten“ gebe: Aus virologischer Sicht gebe es keinen Grund dafür, warum nicht auch Kinder unter 14 Jahren genauso an der Verbreitung des Virus beteiligt sein sollten. Epidemiologisch gesehen fehlten Belege: Bisher seien schwere Ausbrüche schlicht „nicht sichtbar“.

 

In jedem Fall aber plädierte Kekulé für den Übergang in den Wechselbetrieb an den weiterführenden Schulen – und zwar, so haben wir ihn verstanden, nicht erst zögerlich ab einer Inzidenz von 200. Kitas und Grundschulen, so Kekulé, könne man „unter starker Surveillance“ zwar offenlassen – hier müsse dann jedoch „strengstens“ kontrolliert werden, indem man Abwasserproben entnehme, denn das Virus werde über den Stuhl ausgeschieden. Als Grund dafür, Kitas und Grundschulen offenzulassen, nannte Kekulé den „Betreuungsbedarf“ der Eltern und die größere psychische Auswirkung einer Schließung auf Kita- und Grundschulkinder. Es ist demnach als Zugeständnis an andere Bedürfnisse zu werten, nicht aber ein Rat aus virologischer Sicht, denn, so Kekulé, für jüngere Kinder habe man nur eine „schwache Datenlage“. Damit widersprach er, ebenso wie Dr. Schroeder und Prof. Scholz, der leider weit verbreiteten Auffassung, Kinder im Kita- und Grundschulalter seien weniger an der Verbreitung des Virus beteiligt. Man weiß es schlicht nicht.

 

Da der Widerstand gegen unliebsame Expertenmeinungen im Bildungsministerium sehr stark zu sein scheint, ruft der Philologenverband zur Weitergabe des ungekürzten (!) Mitschnitts an die Presse auf, damit der Presse hier auf objektiver Grundlage die Gelegenheit zur Meinungsbildung gegeben werden kann.