Die Hoffnungslosigkeit der Hoffenden: geschichtstheologische Betrachtungen über die Insel Nonnenwerth

BLICK 353

Foto: Jochen Ring

Regionalhistoriker späterer Zeiten werden bei den Ereignissen, die im Zusammenhang mit dem Verkauf der Insel Nonnenwerth stehen, vermutlich nur wenig Überraschendes oder Fragwürdiges entdecken: Warum hätte die Landesregierung besonderen Einsatz zur Rettung eines traditionsreichen Gymnasiums zeigen sollen, wenn sie doch in den Jahren zuvor im nördlichen Rheinland-Pfalz derart große Überkapazitäten im Bereich der Sekundarstufen I und II geschaffen hatte, dass es irgendwann zu einer schulischen „Flurbereinigung“ kommen musste? Warum hätte, zweitens, ein deutsch-amerikanischer Unternehmer, wenn er die Gelegenheit erhält, eine idyllisch im Rhein gelegene Insel mit einem Wert von 50 Millionen Euro zum Ramschpreis von – wie man hört – maximal 12 Millionen Euro zu erwerben, darauf verzichten sollen, die durch den entsprechenden Deal gewonnenen 38 Millionen Euro möglichst schnell produktiv werden zu lassen durch die Projektierung von senioren- und millionärsgerechten Luxuswohnungen? Geradezu sträflich wäre das doch in Zeiten, wo in den Schulen zu Entrepreneurship motiviert werden soll, Unternehmensethik an die Lehrstühle von Universitäten ausgelagert wird, Begriffe wie Ehre, Anstand sowie gesellschaftliche Verantwortung im Ruch des Verstaubt-Langweiligen stehen und ehemalige Bundeskanzler aus pekuniärem Interesse Geschäfte mit Kriegsverbrechern betreiben.
 

Das einzig Überraschende
 

Meines Erachtens enthalten die bisherigen Geschehnisse nur einen einzigen Aspekt, der bei späteren Chronisten so etwas wie Verwunderung auslösen könnte, und dieser erstaunliche Sachverhalt ist bei den Verkäuferinnen der Insel anzusiedeln. Denn so hat es zwar auch in früheren Zeiten durchaus, teilweise bedingt durch die Not der Umstände, Situationen gegeben, in denen es ökonomisch klug war, sich von kirchlichem bzw. klösterlichem Besitz zu trennen; immerhin ist es ja nichts anderes als ein Gebot der Vernunft, wenn eine Ordensgemeinschaft überaltert ist oder eine gewisse Größe unterschreitet, eine fremde Nutzung für eine mit zahlreichen Pflichten behaftete Immobilie anzuvisieren. Da das Christentum sich jedoch als Gemeinschaft der Hoffenden versteht und dies in besonderem Maße für Ordensgemeinschaften gilt, hat man, über Jahrhunderte hinweg und bis zum heutigen Tag, auch in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs die Erwartung, dass die Umstände sich irgendwann bessern könnten, nie vollständig aufgegeben. „Sub specie aeternitatis“, so die Formel und so auch die dahinterstehende Theologie, dürfe es nicht ausgeschlossen werden, dass eine in Bedrängnis geratene kirchliche Gemeinschaft neu aufblühen, sich transformieren, in einem größeren Ganzen aufgehen könne.
 

Ein Instrument, das man hätte nutzen können
 

Solche sich nicht ins Jenseits verflüchtigende, sondern noch auf das Diesseits beziehende Hoffnung hat ihre konsequente Entsprechung in einem Instrument gefunden, das ökonomische Rationalität und die Aussicht auf dereinst zum Positiven hin veränderte Rahmenbedingungen für das irdische Engagenment zu einer interessanten Verknüpfung zu bringen vermag: und zwar in demjenigen der Erbpacht. Üblicherweise 100 Jahre lang erhält damit ein profaner Nutzer die Chance, mit der ihm für mehr als ein Menschenalter überlassenen Immobilie, Haus oder Boden, zu seinem Nutzen säkulare Zwecke zu verfolgen; der Verpächter dagegen hegt die Erwartung, dass die ihm Nachfolgenden, die seiner Weltanschauungsgemeinschaft noch angehören werden, es besser als er selbst antreffen mögen – was ändert sich nicht alles in 100 Jahren? – oder, schlimmstenfalls, den Pachtvertrag ein weiteres Mal verlängern.
 

„Der Letzte macht das Licht aus“ statt Prinzip Hoffnung
 

Was bedeutet es nun für das Selbstverständnis, aber auch die Theologie einer kirchlichen Institution, wenn das über die Generationen hinweg bewährte Mittel der Erbpacht auf einmal nicht mehr zur Anwendung kommt und ein traditionsreiches Gymnasium samt denkmalgeschütztem Kloster ohne Hinzuziehung kompetenten Rechtsbeistands, ohne öffentliche Ausschreibung, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an einen windigen Abenteurer zweifelhaften Rufs, dessen Geschäftsmodell eben unter anderem auch Schulen sind, verscherbelt wird – ich wiederhole: nicht für den ein Menschenleben ausschöpfenden Zeitraum von 100 Jahren verliehen, sondern endgültig und unwiederbringlich abgestoßen? Müssen wir nicht unterstellen, dass hier eine Glaubensgemeinschaft, da sie um des kurzfristigen kleinen materiellen Vorteils willen jegliche Verantwortung gegenüber den später geborenen Brüdern und Schwestern missen lässt, damit auch ihren eigenen Glauben an Zukunft, Bewahren und Überdauern zu Grabe getragen hat? Muss ein solches Handeln, theologisch gesehen, nicht als Ausdruck purer Hoffnungslosigkeit, ungetrösteter Resignation und Abkehr von der Ausrichtung auf die „aeternitas“ gewertet werden?