Digitalisierung mit Sinn und Verstand

BLICK 320

Cornelia Schwartz

Seit gut zwanzig Jahren wird in Deutschland über den Stellenwert der Digitalisierung geredet. Groß ist die Angst: Schaffen wir es, unsere Kinder fit zu machen für die Zukunft? Dabei wird Folgendes übersehen: Wie die Welt von morgen aussieht, konnte man zu keiner Zeit mit Sicherheit sagen; jede Generation musste sich neuen Herausforderungen stellen.


Unser oberstes Ziel in der Schule war es schon immer und muss es weiterhin sein, Schülerinnen und Schüler zu selbständigem Denken anzuleiten, damit sie nach der Schule auch Antworten auf neue Problemstellungen finden können. Es ist ein Irrglaube, man könne etwa Fächer wie „Steuererklärung“ einrichten und der heranwachsenden Generation ein für alle Mal erklären, wie es funktioniert. Unsere Welt ändert sich ständig, auch in Bezug auf unsere Steuergesetze. Daher sollten wir in der Schule weiterhin lernen, Texte zu lesen und zu verstehen, zu argumentieren, herzuleiten, zu begründen, zu beweisen, kurz: Wir sollten weiterhin denken lernen. Natürlich gibt es aber gewichtige inhaltliche Punkte beim Thema „digitale Medien“, die im Unterricht eine Rolle spielen sollten.

Erste Forderung: Konkrete inhaltliche Ziele
 

  • a) Rechtliche Grundlagen wie Datenschutz und Urheberrecht

Im Bereich der rechtlichen Grundlagen wird sich in den kommenden Jahrzehnten vieles verändern. Unsere Aufgabe ist es, unseren Schülerinnen und Schülern ein Grundverständnis für rechtliche Fragen zu vermitteln.


Dazu gehören unter anderem Urheberrechte. Wir müssen im Unterricht für mögliche Probleme sensibilisieren und thematisieren, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch erlaubt ist: Schließlich steht hier jeder selbst in der Verantwortung. Wie viele Urlaubsvideos junger Menschen werden mit schicker Musik untermalt ins Internet gestellt? Oft werden dabei Urheberrechte verletzt. Welche Musik, Bilder, Videos etc. darf ich unter welcher Quellenangabe überhaupt verwenden? In Referaten und Projekten können wir mit Schülerinnen und Schülern konkret rechtssicheres Verhalten einüben.


Neben Urheberrechten gibt es den großen rechtlichen Komplex des Datenschutzes, selbst für darin spezialisierte Juristen ein unüberschaubares Feld. Im Unterricht wird es uns allenfalls gelingen, Grundprinzipien (wie etwa das Gebot der Datensparsamkeit im Umgang mit dem Internet) anzusprechen.


Außerdem ist es selbstverständlich verboten, jemanden zu verleumden oder gegen jemanden zu hetzen – und zwar nicht erst im Zeitalter des Internet, wie die einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches belegen. Es sind also keine neuen Regeln, die wir lernen müssen. Wir müssen aber lernen, dass das, was nur einen Klick weit entfernt ist, große Auswirkungen haben kann; damit müssen wir umgehen können und unser Handeln mindestens ebenso kritisch hinterfragen wie bisher.

 

  • b) Soziale Grundfertigkeiten und Möglichkeiten des Selbstschutzes

Eng damit verknüpft sind die Möglichkeiten des Selbstschutzes bzw. die sozialen Grundfertigkeiten, über die wir im Umgang mit dem Internet verfügen sollten. Wir dürfen selbst nicht hetzen, aber wir müssen auch unbedingt wissen, wo wir uns, wenn wir selbst Opfer von Hass und Hetze werden, professionelle Hilfe holen können. Wir müssen wissen, dass die Hinwendung zu professioneller Hilfe ein Zeichen von Stärke und Verantwortungsbewusstsein ist.


Selbstschutz bedeutet auch, sich nicht abhängig zu machen von Computer, Smartphone, Internet etc. Dazu bedarf es zum Beispiel Strategien aus dem Bereich Zeit- und Selbstmanagement. Sind wir in der Lage, uns Zeitlimits vorzugeben und einzuhalten? Bei der Internetrecherche kann das zum Beispiel mit Hilfe eines Weckers geschehen, der uns nach einer gewissen Zeit aus den Tiefen des Internets wieder zurückholt: Wie oft haben wir auch als Erwachsene schon am Computer recherchiert und gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging? Ganz elementar und doch oft vernachlässigt ist die Kompetenz des Aus- und Abschaltens. Dieser Bereich des Zeit- und Selbstmanagements muss seinen Platz im Unterricht haben, zumal auf der anderen Seite Spielehersteller gezielt Elemente in ihre Spiele einbauen, die das Aussteigen erschweren und damit das Suchtpotential eines Spieles erhöhen.


Je nach Alter unserer Schülerinnen und Schüler ist es angebracht, Eltern auf Elternabenden mit einer Auswahl an Informationen über rechtliche Rahmenbedingungen, soziale Grundfertigkeiten, Schlafhygiene ohne Smartphone und den Umgang mit Computersucht zu sensibilisieren und sie damit in ihrer häuslichen Erziehungsarbeit zu unterstützen.

 

  • c) Quellenkritik

Ein weiterer wesentlicher Punkt, der selbstverständlich in den Lehrplänen verankert ist, bei dem aber immer wieder so getan wird, als sei er neu: die Möglichkeit zu beurteilen, ob etwas unter den Begriff „Fake News“ fällt oder nicht. Bisher hieß diese Fragestellung schlicht Quellenkritik und ist selbstverständlicher Teil des Unterrichts in vielen Fächern.


Die Frage nach der Zuverlässigkeit einer Quelle ist so alt wie die Menschheit selbst. So zu tun, als stehe man damit heute entweder vor unüberwindbaren Hindernissen oder als gebe es eine einfache Antwort auf diese Frage, ist naiv. Selbst die heute sehr beliebten „Faktenchecks“ auch seriöser Nachrichtenkanäle greifen immer wieder zu kurz und werden der Frage selbst nicht wirklich gerecht. Denn – und auch dieses Denken möchten wir unseren Schülerinnen und Schülern vermitteln – es kommt nicht nur auf die Zuverlässigkeit der Quelle und auf die Richtigkeit der einzelnen Aussagen, sondern auch auf die Auswahl der Informationen an. Je nachdem, welche Aussagen wir miteinander in Beziehung bringen, verändern wir das Bild, das sich ergibt. Es ist letztlich also die spannende philosophische Frage nach „der Wahrheit“ und nach Erkenntnisprozessen, die sich in den verschiedenen Fächern besonders in der gymnasialen Oberstufe immer wieder stellt.

 

  • d) Technische Kenntnisse und Fertigkeiten

Die bisher beschriebenen Fähigkeiten sind notwendige Grundvoraussetzungen für die Arbeit mit dem Computer. Was aber ist in unmittelbarem Zusammenwirken mit dem Computer notwendig und Aufgabe der Schule?


Unsere Schülerinnen und Schüler müssen mit Anwenderprogrammen umgehen können: mit Textverarbeitungsprogrammen, mit Präsentationsprogrammen, mit Programmen zur Tabellenkalkulation und mit Datenbankenprogrammen. Sinnvoll kann der Umgang mit fachspezifischer Software sein, etwa Zeichenprogramme in Mathematik oder Aufnahmeprogramme für Audio- bzw. Videodateien, zum Beispiel für Hörspiele in den Sprachen oder für Erklärvideos in verschiedenen Fächern. Außerdem, und damit kommen wir zu dem, was viele eigentlich unter Digitalisierung verstehen, werden im Fach Informatik natürlich auch Programmierkenntnisse vermittelt.

Analog oder digital?

Insgesamt muss das Ziel klar sein: Neben den eben aufgezählten Inhalten ist der Computer für uns ein weiteres Hilfsmittel, eine zusätzliche Lernquelle, die es zu erschließen gilt. Das Internet bietet Material, Lernvideos, interaktive Graphiken, mit deren Hilfe Lerninhalte verdeutlicht werden können. Was zu einer weiteren wichtigen Einsicht führt: Beim Lerninhalt gilt das Primat des Didaktischen. Wenn das Ausprobieren und Zeichnen von mathematischen Kurven auf einem Blatt Papier einen höheren Erkenntnisgewinn bringt, als das an einer bestimmten Stelle im Lernprozess mit Hilfe des Computers der Fall wäre, dann ist selbstverständlich dem Zeichnen von Hand in diesem Moment der Vorrang zu geben. Die Frage „Analog oder digital?“ lässt sich also nur von Fall zu Fall beantworten.

Keine Amputation von Lernkanälen

Es gibt keinen Grund, nun, da es den Computer als ein neues Lernmedium gibt, das hauptsächlich mit dem audio-visuellen Lernkanal arbeitet, sämtliche andere Lernkanäle zu verschließen. Wir wollen mit dem Einsatz des Computers in der Schule keine Amputation anderer Lernkanäle.


Gemeint ist damit zum Beispiel die Motorik bei der Handschrift. Wörter, ob in der Fremdsprache oder in der eigenen Sprache, prägt man sich in erster Linie durch Hören ein, verbunden mit dem Sprechen und Handeln in einer Situation. Ein weiterer wichtiger Lernkanal ist das Sehen bzw. das Lesen. Daneben aber gibt es auch den motorischen Lernkanal, also das Schreiben des neuen Wortes oder eines Namens per Hand, um sich das neue Wort, den neuen Namen besser einzuprägen. Dieser Möglichkeit zu lernen, die bis ins hohe Alter wichtig bleibt, dürfen wir uns auf keinen Fall berauben. Nicht nur aus diesem Grund ist das Schreibenlernen und das Schreibenüben per Hand weiterhin notwendig.

Sinnvoller Zeitpunkt für den Computereinsatz

Es stellt sich daher die Frage, ab wann und wie der Computer zum Einsatz kommen soll. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz setzt sich dafür ein, dass eine sinnvolle Abfolge an Schritten eingehalten wird. Im Kindergarten lernen Kinder mit anderen zu spielen, Konflikte auszutragen, Kinderlieder zu singen, balancieren, mit Stift, Schere, Knete und anderem Bastelmaterial umzugehen, sie lernen die ersten Zahlen kennen und vielleicht die Großbuchstaben im eigenen Namen – und vieles andere mehr. Für den Computer kann hier kein Raum sein, da zu diesem frühen Zeitpunkt unter anderem die Ausbildung der Motorik an erster Stelle steht.


In der Grundschule werden diese Fertigkeiten verfeinert, das Kind lernt lesen, schreiben, rechnen und ganz viele andere Dinge. Wissenschaftler und Ärzte warnen vor einem übermäßigen Technikeinsatz in der Grundschule. Dass gerade technikaffine Eltern, die sowohl Chancen als auch Risiken der neuen Medien gut kennen, beim Computereinsatz im Unterricht vorsichtig sind, lässt tief blicken. So wird immer wieder berichtet, dass viele Eltern, die bei den Computer- und Internetfirmen des Silicon Valley arbeiten, ihre Kinder auf eine Schule schicken, die, wie der „Stern“ schreibt, bewusst eine „technologiefreie Zone“ ist. In Südkorea, China und Taiwan, so hieß es vor kurzem in einer Pressemeldung, hat sich das Problem der Kurzsichtigkeit deutlich verschlimmert - auch durch Smartphone und Co. Insbesondere in jungen Jahren, wenn Augen und Gehirn viel schneller Schaden nehmen können, scheint Vorsicht geboten. Viele Risiken und Langzeitschäden sind noch gar nicht abzusehen. Als Philologenverband plädieren wir für einen wohldosierten Computereinsatz – und zwar erst ab der weiterführenden Schule.

Zweite Forderung: Eine bessere technische Ausstattung

An den weiterführenden Schulen brauchen wir eine gute technische Ausstattung, die auch entsprechend professionell gewartet werden muss. Dabei müssen wir uns vorher überlegen, wo es langgehen soll: Wir müssen uns die Frage stellen, ob es das Tablet für jeden sein soll oder doch lieber mehrere Computerräume mit einem intelligenten Buchungssystem und ein Beamer mit Zubehör in jedem Saal. Wir müssen uns fragen, wie nachhaltig, auch im Sinne des Umweltschutzes, unsere Lösung ist, und wir müssen vor der Anschaffung der Geräte klären, wer die professionelle Wartung übernimmt, denn „so eben mal nebenbei“ lässt sich das nicht länger durchhalten.

Dritte Forderung: Mehr Zeit!

Auch Lehrerinnen und Lehrer müssen sich einarbeiten, etwa in rechtliche Rahmenbedingungen, in Programme, die den Unterricht bereichern können, in die Vermittlung sozialer Grundfertigkeiten in Zusammenhang mit digitalen Medien. Letztlich: Ob mit oder ohne digitale Medien - jede Stunde will wieder vorbereitet sein! Dafür brauchen wir Zeit.