Für Sie gelesen: Grundschule: Ideen, Erfahrungen, Konzepte - Ausgabe 2/2020: Handschreiben / Nachhaltige Bildung (Westermann-Verlag)

BLICK 339

Foto: Jochen Ring

So wie es in der Regel reicht, sich, anstatt eine Stunde und länger am Fernseher zu verweilen, am Tag danach anhand der diversen Rezensionen einen Überblick über Diskussionen in den Talk-Shows des Vorabends zu verschaffen, kann es manchmal hilfreich sein zu wissen, dass dieses oder jenes Buch bzw. dieser oder jener Aufsatz erschienen ist, sowie über die darin vertretene Position informiert zu werden, ohne dass man sich genötigt fühlen müsste, das jeweilige Werk vollständig gelesen zu haben. So oder ähnlich könnte es sich bei denjenigen Gymnasiallehrkräften verhalten, die nicht das Fach Deutsch unterrichten, jedoch ein gewisses Interesse für das Thema Handschrift und die darüber geführten Debatten hegen.

 

Dass diese überhaupt geführt werden, hängt auch mit dem Engagement des Philologenverbandes und seiner Landesgliederungen, etwa des rheinland-pfälzischen Ablegers unter seiner Vorsitzenden, Cornelia Schwartz, die dazu jüngst als Ko-Autorin in „Forschung und Lehre, Heft 2/2020“ (Nachdruck in: Blick ins Gymnasium, Nr. 329) publiziert hat, zusammen. Unmittelbarer Anlass für diese Aktivitäten der Vertretung der Gymnasiallehrkräfte sind die gehäuften Klagen der Kollegen über zunehmende Mängel im Schriftbild der Fünftklässler und, damit korreliert, gravierende motorische Defizite, die sich immer mehr auf die Effektivität des unterrichtlichen Bemühens auswirken, vor allem dann, wenn Schülerinnen und Schüler damit überfordert sind, mehr als drei Sätze, die nicht in Druckbuchstaben an der Tafel stehen, in ihr Heft zu übertragen.

 

Es bedeutet nun einen großen Fortschritt, wenn das Problem in der Primarstufendidaktik nicht länger geleugnet und als Hirngespinst verkopfter „Stoffvermittler“ am Gymnasium abgetan wird, sondern unter dem Titel „Herausforderung Handschreiben“ Eingang in eine Fachzeitschrift für Grundschullehrer(innen) findet. Selbstverständlich bleiben die Fronten auf Seiten der Herausgeber weiterhin klar gezogen, so dass das Engagement der Kultusministerin Eisenmann, die die Methode „Lesen durch Schreiben“ in Baden-Württemberg verboten hat, ebenso wie der Philologenverband in ein negatives Licht gerückt werden, während die Solidaritätsadresse des Grundschulverbandes Baden-Württemberg an den Ministerpräsidenten Kretschmann, der die Rechtschreibung als an „kluge Geräte“ delegierbare Bagatelle relativiert hatte, als lobenswerte Tat dargestellt wird. Aber immerhin gerät jetzt doch ein wenig Bewegung in die bislang einheitliche Phalanx der Grundschul-Funktionäre, die in Anlehnung an Beuys nicht mehr nur das Mantra vom Kind als nicht zu korrigierendem Handschrift-Künstler wiederholen, sondern in dem Magazin vor kurzem noch als reaktionär verschriene Ansichten zu dem Thema publik werden lassen.

 

Für erwähnenswert halte ich in der Aufsatzsammlung folgende Aspekte:

 

  • Neben dem „regelmäßige[n] Lesen“ wird auch „häufiges Handschreiben“ positiv gewürdigt (S. 8).
     
  • Ebenso wird eine spezifische „Handschreib-Förderung“ empfohlen (S. 9).
     
  • Der Philosoph und Germanist Michael Krämer hebt die „Möglichkeit des Selbstausdrucks und der Selbstdarstellung“, die in der Handschrift liegt, hervor (S. 12), eine Chance, die seiner Meinung nach gerade auch den Jungs nicht vorenthalten werden sollte.
     
  • Der Leser fragt sich, warum sich über Schleswig-Holstein, Hamburg und Baden-Württemberg hinaus nicht mehr Bundesländer der erfolgreichen Fortbildungsinitiative „Orthographie lehren und lernen an Grundschulen“ anschließen (S. 26f.).
     
  • Die Psychologin, Soziologin, Primar- und (!) Hochschullehrerin Ute Andresen, fast 25 Jahre als Grundschullehrerin tätig, diagnostiziert „Schreib- und Leseprobleme von Kindern, die nach dem Grundschrift-Konzept schreiben gelernt haben“ (S. 32), plädiert für einen nur auf den ersten Blick „altmodisch“ erscheinenden Unterricht (S. 34) und betont die Vermeidbarkeit von Anstrengungen, die Kinder leisten müssten, wenn sie Bewegungsabläufe beim Schreiben immer wieder neu und umlernen, statt sich auf sichere Routinen stützen zu können (S. 35).

 

Es bewegt sich also etwas in Sachen Handschrift und Rechtschreibung. Orientierungsstufenlehrkräfte, und nicht nur sie, dürfen Hoffnung schöpfen.