IGS im Blick: Gesellschaftslehre an IGS – ein Mangelfach! Abitur ohne Sozialkunde? Geht das überhaupt? Ja! In Rheinland-Pfalz schon!

Alle Schüler einer Integrierten Gesamtschule, die in der Sekundarstufe I das Fach Gesellschaftslehre hatten und anschließend in der MSS das Leistungsfach Erdkunde belegen, verlassen die Schule ohne jemals eine einzige Sozialkundestunde erhalten zu haben.
 

Das Fach Gesellschaftslehre folgt dem fächerübergreifenden Prinzip und vereint die drei Fachwissenschaften Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde. Der Lehrplan betont die besondere Konzeption des Faches, indem es mit dem im Schulgesetz § 1 verankerten „integrativen und inklusiven Bildungsauftrag korrespondiert.“ Es basiert auf zwei Grundpfeilern, nämlich der Integration (u.a. verstanden als sozial integrativ hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung in heterogenen Lerngruppen sowie fachlich durch Zusammenführung politischer, räumlicher, sozialer, zeitlicher und ökonomischer Persektiven). Der Lehrplan betont den Anspruch des Faches, die Schüler zu motivieren, „soziale und politische Aufgaben im freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat“ übernehmen zu wollen, lässt aber durch die Definition der Thementableaus und die Anordnung der Unterrichtsinhalte den Schülern kaum Raum, eine intensive Beschäftigung mit den politischen Systemen zu erfahren.
 

Die Umsetzung dieser Aufgabe obliegt Lehrern, die bestenfalls nur eine der drei Fachwissenschaften studiert haben. Oftmals führt die Stellung der Gesellschaftslehre als Integrationsfach sogar dazu, dass für den Fachunterricht die Tutoren unabhängig von ihrer fachwissenschaftlichen Qualifikation, also gänzlich fachfremd eingesetzt werden. Allen das Fach Gesellschaftslehre unterrichtenden Lehrkräften wird zugemutet, die zwei bis drei fehlenden Fachwissenschaften inhaltlich sowie didaktisch-methodisch im privaten Heimstudium zu erarbeiten. Da keine universitäre Ausbildung als Gesellschaftslehrelehrer existiert, versucht man über Fortbildungsangebote am Pädagogischen Landesinstitut den Mangel marginal zu beheben. Über eine Art Netzwerk sollen gegenseitige Unterstützungsangebote implementiert werden. So erklärt am Ende der Erdkundelehrer dem Geschichtslehrer, wie er ein Sozialkundethema unterrichten könnte.
 

Auf die eklatanten Missstände des Faches wiesen Schüler der IGS Kastellaun in ihrem Antrag, den sie bezeichnenderweise mit „Stärkung der politischen Bildung durch die Wiedereinführung eines differenzierten Fachunterrichtes „ überschrieben hatten, beim Schülerlandtag hin:
 

„Der mehr oder weniger fachfremd erteilte Fachunterricht hat weitreichende Folgen … Die betroffenen Schüler weisen nämlich erhebliche Wissenslücken auf … Eine Fortbildung kann kein langjähriges Studium ersetzen … Der Mangel an politischer Bildung hat viele Probleme zur Folge. In unserer alltäglichen Welt etablieren sich immer mehr radikale Ansichten ….“.
 

Gehör fand die Schülervertretung bei der CDU-Fraktion, die im vergangenen Sommer einen Antrag an den Landtag stellte, „das verpflichtende Fach Gesellschaftslehre in den Gesamtschulen in die drei Einzelfächer Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde zu trennen[1]. Die Begründung trifft den Nagel auf den Kopf:
 

„Je komplexer das Fach, desto wichtiger ist auch ein pädagogischer und didaktischer Zugang, der eigens auf das Fach ausgerichtet ist … Dies können nur Fachlehrer leisten, die in ihrem Studium und ihrem Vorbereitungsdienst entsprechend ausgebildet wurden.“
 

Leidtragende einer Bildungspolitik, die Integration zu Lasten eines qualitativ fundierten und qualifizierten Fachunterrichts favorisiert, sind also einerseits die Schüler, die mit eklatanten Bildungslücken in allen drei Fachdisziplinen die Schulen nach der 10. Jahrgangsstufe  verlassen bzw. mit diesen Defiziten in die MSS eintreten und einen gesellschaftswissenschaftlichen Leistungskurs belegen. Leidtragende sind anderseits auch die Lehrkräfte, die dieses Fach unterrichten und somit neben den normalen Unterrichtsvorbereitungen auch noch zum Selbststudium mindestens weiterer zweier Wissenschaften genötigt werden. Denn exemplarisch betrachtet sind weder die „Entwicklung der Landwirtschaft im Mittelalter und Frühen Neuzeit“ noch die „Landwirtschaftlichen Voraussetzungen in Deutschland“ oder „Die EU und ihre Folgen für eine nationale Agrarkultur“ in ihrer Komplexität an einem Nachmittag zu ergründen, um anschließend die Frage zu beantworten „Wie erhalten wir die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen?“. Dafür bedarf es eines fundierten universitären Studiums und nicht nur der Lektüre eines Überblickstextes, denn zu mehr haben viele Kollegen bei vollem Deputat und Klassenleitung nicht die Zeit.
 

Der Philologenverband fordert in logischer Konsequenz der offenkundigen Mängel die Auflösung des Faches Gesellschaftslehre in die Einzelfächer Sozialkunde, Erdkunde und Geschichte.

 


[1] Vgl. Antrag der Fraktion CDU, Drucksache 17/3903 vom 24.08.2017