Inklusionsgespräche mit der „Gehörlosenschule“ Trier

BLICK 291

Ralf Hoffmann, Bildungsreferent

Ralf Hoffmann, Bildungsreferent

Mit einem Besuch der Wilhelm-Hubert-Cüppers-Schule (WHCS), Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige, in Trier führt der Philologenverband die gute Tradition fort, mit den Förderschulen des Landes in Kontakt zu bleiben, und kommt einem Auftrag seiner Vertreterversammlung nach. Diese hat im November 2015 die Befürchtung formuliert, dass die vermehrt zu bewältigenden Inklusionsaufgaben in vielen Fällen eine Überforderung der Regelschulen im didaktisch-methodischen und im personellen Bereich darstellen können. Sie hat folglich den Bildungsausschuss damit beauftragt, daran mitzuwirken, dass für Inklusionsbestrebungen im schulischen Bereich eine Beratungsstruktur etabliert wird.

Die Schulleiterin der WHCS, Ulrike Moog, empfing am 9. September die Gruppe des Verbands unter der Leitung von Ralf Hoffmann, der als Vertreter der Hauptpersonalrates Gymnasien und Kollegs seit Beginn der Inklusionsdebatte in Landesgremien bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mitwirkt.

Allein der Elternwille zählt

Seit der Änderung des Schulgesetzes im August 2014 zählt in Rheinland-Pfalz bei der Wahl der Schullaufbahn für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausschließlich der Elternwille: „Die Entscheidung, ob der Schulbesuch an einer Förderschule oder im inklusiven Unterricht erfolgen soll, treffen die Eltern“ (SchulG §3, Abs. 5). Sie könnten sich also sowohl gegen eine Schullaufbahnempfehlung als auch gegen die Ratschläge einer im Schulgesetz vorgesehenen „Beratung“ (SchulG §59, Abs. 4) entscheiden.

Förderschulen haben hohe Beratungskompetenz

Die Frage, welche Schule die „Beratung“ durchführt (die aufnehmende oder die abgebende bzw. die Förderschule oder die inklusiv unterrichtende Regelschule), beantwortet das Schulgesetz nicht. Hier besteht also jeweils Klärungsbedarf vor Ort.

Die Zusage der Landesregierung, die Förderschulen nicht abzuschaffen, sondern die dort vorhandene sonderpädagogische Expertise für inklusiv arbeitende Regelschulen in Form der Etablierung von Förder- und Beratungszentren zu nutzen, hat der Philologenverband wiederholt ausdrücklich begrüßt.

Auch beim Besuch an der WHCS bestätigt sich: Die Förderschule hat eine hohe Beratungskompetenz. Sie blickt auf eine erfahrungsreiche, 130-jährige Tradition zurück; Konzept, Expertenwissen und persönliches Engagement vor Ort überzeugen. Wolfgang Romann, der stellvertretende Schulleiter der WHCS, präsentierte z.B. die räumliche und technische Ausstattung der Schule bei einem Rundgang, die für eine optimale Förderung von hörbeeinträchtigten Schülerinnen und Schülern erforderlich ist und die an vielen inklusiv arbeitenden Regelschulen noch fehlt.

Beratung durch die Förderschulen weiter etablieren

Bei einer Beratung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und deren Eltern müssen die Förderschulen - insbesondere wenn sie Förder- und Beratungszentrum sind - beteiligt sein, und zwar nicht nur bei der Frage nach der Schulwahl. Sie bieten darüber hinaus unentbehrlichen Rat und Hilfe zum Gelingen einer inklusiven Beschulung an Regelschulen, insbesondere beim Erstellen von „Förderplänen“ und bei der Festlegung eines „Nachteilsausgleichs“.

Individuelle Förderung erfordert Einzelfallbesprechungen unter Einbeziehung der spezifischen Expertise der Förderschulen. Eine umfangreiche, zeitaufwändige, intensive Kommunikation zwischen den beteiligten Schulen im Beratungsprozess ist da notwendig, kann aber ohne zusätzliche personelle Ressourcen bzw. Entlastungsstunden nicht flächendeckend gelingen. Die Abschaffung des Ressourcenvorbehalts war ein großer Fehler; Inklusion gelingt nicht zum Nulltarif, sondern dort, wo das Land investiert.

Förder- und Beratungszentren bieten derzeit meist eine nachfrageorientierte Beratung an; diese sollten die ihnen zugeordneten, inklusiv arbeitenden Regelschulen immer wieder anfordern. Darüber hinaus sollten aber auch Kapazitäten für Initiativberatungen aufgebaut werden.

Hörverstehensprüfung für Hörbeeinträchtigte im Abitur 2017 problematisch

Schon bei den Begrifflichkeiten gibt es oft noch Beratungsbedarf. Ein Beispiel ist der gemäß SchulG §3, Abs. 5, zu gewährende „Nachteilsausgleich“. Ein „Nachteilsausgleich“ verlangt nicht nach einer Reduzierung der Anforderungen, wie gerade an den Gymnasien immer wieder befürchtet wird, sondern nach einer Förderung, die die behinderungsbedingten, fachärztlich attestierten Beeinträchtigungen so kompensiert, dass auch auf einem qualitativ hohen Niveau gearbeitet werden kann.

Schon im Mai dieses Jahres hat der Philologenverband das Ministerium darauf hingewiesen, dass die in 2017 erstmals vorgesehene Hörverstehensaufgabe im zentralen Teil des Fremdsprachenabiturs für hörbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler äußerst problematisch ist; der Dialog mit den Förderschulkollegen an der WHCS hat diese Einschätzung klar bestätigt.

Neben anderen Landesschulen hat auch die WHCS Trier das Bildungsministerium hinsichtlich eines Nachteilsausgleichs beraten, und auf dieser Grundlage sind folgende Hinweise für die kommende Abiturprüfung entstanden:

• Für hörbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler ist zunächst ein individueller Nachteilsausgleich anzuwenden (z.B. extra Raum für die Prüfung, Kopfhörer, Arbeitszeitverlängerung).

• Wenn die Hörverstehensaufgabe wegen der Schwere der Hörbehinderung gar nicht bearbeitet werden kann, wird die Schreibaufgabe von der Lehrkraft im Umfang entsprechend ausgebaut und deren Gewichtung erhöht.

• Das Rundschreiben zur Abiturprüfungsordnung für das Abitur 2017 legt zudem fest, dass die Entscheidung über den individuellen Nachteilsausgleich der/die Vorsitzende der Abiturprüfungskommission trifft, und zwar unter Berücksichtigung der Vorschläge der regional zuständigen Landesschule für Schwerhörige und Gehörlose.

Kurzkritik

Zu begrüßen ist, dass die nun erfolgten Regelungen den im Land allseits wertgeschätzten Inklusionsgedanken retten oder polemisch formuliert: Von keinem Tauben wird mehr verlangt, dass er im Abitur einen Hörtest besteht. Aber: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Für den zentralen Aufgabenteil ließen sich wesentlich unproblematischere Aufgabenformen finden, die den Lehrkräften vor Ort Zeit und Arbeitsaufwand ersparen würden.