Klassenmesszahlen: Was auch zur Wahrheit gehört…

Für viel Furore sorgen in Rheinland-Pfalz derzeit die Grundschulen, die sich über viel zu große Klassen beklagen. Das Bildungsministerium möchte sich zumindest in puncto Klassengröße nicht viel vorwerfen lassen: Man habe „die kleinsten Grundschulklassen bundesweit“, so das Ministerium für Bildung in einer Presseerklärung vom 31.01.2018. Mehr Geld, so scheint es, kann man für noch kleinere Klassen kaum ausgeben – nicht, wenn man gleichzeitig so hoch verschuldet ist wie Rheinland-Pfalz.

Was man dem Ministerium aber durchaus abverlangen kann, ist, ein Empfinden dafür zu entwickeln, was realistisch gesehen unter den gegebenen Bedingungen von Lehrkräften geleistet werden kann und was nicht. Tatsächlich sind viele Aufgaben, die den Schulen aufgebürdet werden, bei den aktuellen Klassengrößen utopisch: Eine Grundschulklasse mit in Rheinland-Pfalz durchschnittlich 18,5 bzw. 18,4 Schülerinnen und Schülern kann nicht Vergleichbares an Inklusion und individueller Förderung leisten wie eine Förderschule, die in Rheinland-Pfalz eine tatsächliche Klassengröße von unter 10 Schülerinnen und Schüler pro Klasse hat.

Noch viel weniger aber kann man Vergleichbares etwa von anderen Schularten verlangen: Mit 25,6 Schülerinnen und Schülern pro Klasse am Gymnasium und 26,9 an Integrierten Gesamtschulen ist individuelle Förderung allenfalls ein Ausnahmefall, dessen Festschreibung im Schulgesetz und anderswo bei vielen Lehrkräften längst zur Resignation geführt hat.

Bedenkt man, dass Gymnasiallehrkräfte nicht nur mehr Schülerinnen und Schüler pro Klasse und Kurs haben, sondern dass sie – ebenfalls im Unterschied zu Grundschullehrkräften – nicht nur ein oder zwei Klassen, sondern sieben bis zwölf Klassen unterrichten, wird schnell klar, dass es mit individuellen Förderplänen, Gesprächen etc. nicht weit her sein kann. Wer Gymnasiallehrkräften vorwirft, sich zu fein zu sein für Inklusion, der möge überlegen, wie individuell man 200 bis 300 Schülerinnen und Schüler fördern kann – wohlgemerkt: im Vergleich zu durchschnittlich 18,4 Schülerinnen und Schülern in einer Grundschulklasse. Wer den Gymnasien hier eine Verweigerungshaltung vorwirft, der hat jeglichen Sinn für Realität verloren – oder beim Rechnen einfach nur nicht aufgepasst.

Selbst wenn Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig die unter ihren Vorgängerinnen versprochene und (vorübergehend) ausgesetzte Absenkung der Klassenmesszahlen an weiterführenden Schulen in Klasse 5 und 6 von 28 auf 25 durchführen würde (und dies auch konsequent in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 fortsetzte), wird es eine auch nur annähernd mit den Grundschulen vergleichbare Zahl an Schülerinnen und Schülern pro Lehrkraft für die weiterführenden Schulen nicht geben. Das zu erkennen, dabei hilft ein klein wenig Rechnen schon weiter.