Nachteilsausgleich – Thema 1 im BA

BLICK 343

Foto: Ralf Hoffmann

Das Corona-Virus war dafür verantwortlich, dass der Bildungsausschuss (BA) des Philologenverbands Rheinland-Pfalz am 12. April nicht wie ursprünglich geplant im Erbacher Hof in Mainz tagte, sondern erstmals digital in einer BigBlueButton-Konferenz. Als externen Gast, Experten und Gesprächspartner zum Thema Nachteilsausgleich konnte das Gremium Dr. Lothar Oebel aus der Gymnasialabteilung des Ministeriums für Bildung begrüßen.
 

Nachteilsausgleich – eine immer umfangreichere Aufgabe
 

Der Nachteilsausgleich war als Thema des Morgens von Ausschussmitgliedern gewünscht worden, die eine zunehmende und für Lehrerinnen und Lehrer immer kräftezehrendere Inanspruchnahme feststellen. Ärztlich Atteste würden vielfach schnell und undifferenziert, sich oftmals nur auf ein Schlagwort wie „Lese-Rechtschreib-Schwäche“ beschränkend, ausgestellt.
 

Die – vielleicht auch pandemiebedingte – Zunahme der Anträge fordert Klassenkonferenzen immer stärker. Eine Herausforderung ist nicht nur das Finden und Festschreiben eines angemessenen Ausgleichs zur Kompensation der attestierten Beeinträchtigung, die immer wieder anzupassen ist, eine Herausforderung für jede einzelne Lehrkraft ist es auch, bei 40 oder 50 Fällen an einem Gymnasium mittlerer Größe den Überblick nicht zu verlieren.
 

In der Regel setzt sich Nachteilsausgleich aus mehreren Bausteinen zusammen: Verlängern der Arbeitszeit, zusätzliche Angebote der Leistungsmessung (beispielsweise stärkere Bewertung mündlicher Leistungen im Bereich „Andere Leistungen“), getrennte Bewertung der Kompetenzbereiche, Gewährung digitaler Hilfsmittel (z. B. Schreiben am PC), Vergrößern von Schrift und Bild, Impulskarteneinsatz zum besseren Verstehen des Arbeitsauftrags und so weiter.
 

Hinzu kommt in jedem Fall die Gestaltung der individuellen Förderung.
 

Rechtliche Grundlagen
 

Ein Anrecht auf Nachteilsausgleich ist verankert in der UN-Behindertenrechtskonvention und im deutschen Grundgesetz (Artikel 3 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2) und wird im rheinland-pfälzischen Schulgesetz umgesetzt (§ 3 Abs. 5 SchulG).
 

Gesondert geregelt ist in Rheinland-Pfalz der Nachteilsausgleich für Schülerinnen und Schüler mit Defiziten im Bereich des Lesens und Rechtschreibens. Die Verwaltungsvorschrift „Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben“ aus dem Jahr 2007 regelt, dass ein Nachteilsausgleich zu gewähren ist, ohne dass das auf dem Zeugnis vermerkt wird.
 

Darüber hinaus können die Eltern einen Antrag auf Aussetzen der Bewertung der Rechtschreibleistung stellen, worüber die Klassenkonferenz befinden muss. Stimmt sie dieser Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsfeststellung und Leistungsbeurteilung zu, ist dies in den Zeugnissen unter „Bemerkungen“ zu vermerken.
 

Für Autismus, ADHS und Dyskalkulie gibt es noch keine vergleichbaren Vorschriften.
 

Diskussion im Bildungsausschuss
 

In der Diskussion erschienen die folgenden Aspekte wichtig:
 

  • Nachteilsausgleich ist kein „Notenschutz“; die Anforderungen werden nicht gesenkt. Das bedeutet, es gibt grundsätzlich keine Veränderung der Aufgabenstellung zugunsten von Schülerinnen und Schülern, denen ein Nachteilsausgleich gewährt wurde. Begründete Ausnahmen von dem Grundsatz kann es geben (z. B. andere Aufgaben für Hörbeeinträchtigte im Bereich des zentralen Fremdsprachenabiturs: Keine Prüfung des Hörverstehens).
     
  • Rechtschreibung ist Teil der Leistung, die abiturrelevant ist; ab Jahrgangsstufe 11 ist konsequenterweise ein Abzug von bis zu 2 MSS-Punkten in jeder Klausur bei gravierenden Verstößen gegen die Orthographie vorgesehen. Das gilt auch für Jugendliche mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Deswegen sollte spätestens in den Klassenstufen 9 und 10 des Gymnasiums der Nachteilsausgleich abgebaut werden beziehungsweise auslaufen (vgl. 4.1 der VV zu LRS).
     
  • Das für die Gewährung von Nachteilsausgleichen vorzulegende ärztliche Attest sollte eine Richtschnur sein, d. h. die Beeinträchtigung muss beschrieben werden, damit angemessene pädagogische Maßnahmen an der Schule individuell passend zugeschnitten werden können. Eine pädagogische Maßnahme ärztlicherseits vorzugeben, erscheint unangebracht.
     
  • Individuelle Förderung ist nicht allein Aufgabe der Lehrkräfte. Den Willen der Schülerin / des Schülers, sich in den Lernprozess einzubringen vorausgesetzt, kommt auch den Eltern eine erhebliche Bedeutung zu: Sie setzen nicht bei der Schule eine ihnen zustehende Dienstleistung durch, sondern sie beteiligen sich kooperativ bei der Förderung ihres Kindes und nehmen zum Beispiel auch außerschulische Beratungs- und Lernangebote in Anspruch.
     
  • Ein zielgleiches Unterrichten mit geistig Behinderten am Gymnasium ist ausgeschlossen. Es würde alle am Schulleben Beteiligten erheblich belasten und überfordern.