Pädagogik - die Fünfte

BLICK 283

Der Ort 

Einen, wie Bildungsministerin Vera Reiß sagte, »würdigen Rahmen« zum Abschluss der rheinland-pfälzischen Gespräche zur Pädagogik sollte die fünfte Veranstaltung dieser Reihe am 26. November 2015 in dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz finden. Ob dieser Ort, wo alljährlich das Fastnachtstreiben seinem Höhepunkt entgegensteuert, auch aus Narrensicht eine solche Bewertung verdient oder ob nicht die Durchführung einer Bildungsveranstaltung die karnevalistischenGefühle eines großen Teils der Bevölkerung des Rheinlands verletzt hat, sei dahingestellt. Einen shitstorm wegen unzulässiger Profilierung der Hochburg des Mainzer Karnevals hat es bislang nicht gegeben, vielleicht auch deshalb nicht, weil an diesem Abend zumindest zeitweise nicht ganz klar war, ob es sich bei diesen Gesprächen zur Pädagogik tatsächlich um eine Bildungs- oder nicht vielmehr um eine Werbeverkaufsveranstaltung handelte. 

Die Personen 

So durfte die Schauspielschule Mainz – mit gekonnten Aufführungen! – für einen ihrer Studiengänge werben, Dr. Jörg Dräger als Vorstandsmitglied mit dem Aufgabengebiet Bildung, Integration und Demokratie für die Bertelsmann-Stiftung, Frau Dr. Birgit Pikowsky als Direktorin des Pädagogischen Landesinstituts für die Arbeit dieser Einrichtung (auf dass es ihr nicht so ergehe wie der AQS) und die Ministerin für ihre Politik. Der ebenfalls anwesende Leiter der Abteilung Aus- und Weiterbildung des Mercedes-Benz-Werkes in Wörth, Daniel Brunner, warb, entgegen allen Erwartungen, nicht für die Autos seines Arbeitgebers, vermutlich ging es ihm um ein Gespräch über Pädagogik.

Das Buch

Zu Beginn seines Referats verlieh Dr. Dräger, von 2001 bis 2008 Wissenschaftssenator in Hamburg, seiner Hoffnung Ausdruck, dass es ihm gelingen werde, durch seinen Vortrag die Verkaufszahlen für seinen »Leitfaden Berufsorientierung «, den »die Bertelsmann[-] Stiftung im Sommer dieses Jahres als Praxishandbuch für Schulen herausgegeben hat« (Zitat aus der Pressemitteilung des MBWWK vom 26. November 2015), über die 10 000er- Schwelle zu heben. Wer einen Leitfaden zur Etablierung eines Qualitätsmanagementsystems zur Berufsorientierung an Schulen sucht und sich an der ihm inhärenten Begriffsvielfalt (»Statusanalyse«, »Koordinationsgruppe«, »Qualitätsrahmen«, »Projektmanagement«) ergötzen möchte, ist mit diesem Werk sicherlich gut bedient. Vielleicht wird ja für den nachweihnachtlichen Umtausch noch ein zeitgemäßeres Buch als Ersatz für den zwar mit guter Absicht verschenkten, aber für nicht mehr zeitgemäß gehaltenen griechischen Klassiker gesucht? 

Das Thema 

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen gab Dr. Dräger einen Überblick über die Entwicklung, deren Endpunkt die »public private partnership « im Bereich der Bildung darstellen dürfte. Dies sind die vom Referenten präsentierten Fakten:

• das Projekt »School of One’s« berechnet auf der Grundlage der erbrachten Leistungen mithilfe eines Zentralrechners in Manhattan für die Schüler der ihr angeschlossenen Bildungsanstalten das individuelle Curriculum für den folgenden Tag

• wenn es Netflix und Amazon durch Datenauswertung gelingt, die Bedürfnisse ihrer Kunden in Erfahrung zu bringen, muss dies grundsätzlich auch für Hochschulen möglich sein

• Firmen in den USA unterziehen Bewerber nicht mehr den aufwendigen Prozeduren eines Assessment-Centers, sondern erhalten durch Big-Data-AnalyseAuskunft darüber, ob Kandidaten für die anvisierte Aufgabe geeignet sind, nachdem diese sich zwanzig Minuten einem bestimmten Computer-Spiel gewidmet haben.

Das Ergebnis 

Aus der Sicht eines Politikberaters muss man der Ministerin und ihren Mitarbeitern für die strategische Planung und die Durchführung des Abschlusses der Gespräche zur Pädagogik Anerkennung zollen. Ihr ist nämlich zweierlei gelungen: Durch die Themensetzung, die Einbettung in die »Berufswahl- und Studienorientierung «, die Auswahl des Referenten und die Amelung der »Arbeitgeber als Abnehmer unserer Schüler« hat sie sicherlich Sympathien in der Wirtschaft erworben. Andererseits beruhigte sie angesichts der nicht nur Fortschrittsoptimismus auslösenden Vision eines Dr. Dräger Ihre traditionelle Klientel damit, dass einiges von dem Dargebotenen sie »berührt [habe], nicht im Guten«. Sie plädierte dafür, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass junge Menschen sich entwickeln könnten und dass neben aller datenbasierten Lernweggestaltung und Bewerberauswahl »Interesse, Leidenschaft, Engagement« von jungen Menschen wichtig seien. Dass digitale Medien »nicht zur Chancenungleichheit führen« dürften, war eine ihrer Forderungen. Mit der Aussage, dass sie sich über die OECD ärgere, weil diese die Duale Ausbildung schlecht rede, und der Bemerkung, dass Steve Jobs seine Kinder an einer medienfreien Bildungsanstalt eingeschult habe, konnte sie sogar mein Philologenherz wärmen.Wenn die Ministerin jetzt noch die geplante Verwaltungsvorschriftzur Berufswahl-und Studienorientierung mit ihren völlig kontraproduktiven minutiösenFestlegungen für die Schulen aussetzte, wäre diese in erster Schritt zur Steigerung der Berufszufriedenheit, aber auch der Effizienz und der Möglichkeit zur Entfaltung kreativer Potentiale im Schulalltag.