Praktika und Referendariat 2013 – 2021 - Gymnasiale Lehrerbildung: Aussitzen gilt nicht mehr! Studium und Referendariat in Zeiten von Corona

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Foto: Cornelia Schwartz

Referendariat und Praktika – gibt es das noch? Sagen wir so: In Zeiten von Corona und Schulschließungen ist davon nicht mehr viel übrig. Zwar haben sich die Studienseminare auch zügig auf Fernunterricht umgestellt, aber die folgenden Beispiele zeigen, wie wenig von dem, was man in normalen Zeiten unter Lehrerbildung versteht, in den letzten 13 Monaten noch möglich war.

 

Schule mit Schülerinnen und Schülern?

 

Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht: Unterrichtsbesuche, gar Examensprüfungen im Fernunterricht durchzuführen? Wie kann das gehen? Was tun, wenn das Internet abbricht, wie reagieren, wenn plötzlich Schülerinnen und Schüler wegen schlechter Verbindung zu Hause nicht mehr ihr Mikrofon „entstummen“ können? Wenn die Stunde dann doch spontan anders laufen muss? Kann man das Referendarinnen und Referendaren in der heutigen Situation, mit stark umkämpften Planstellen, zumuten? Trockenschwimmen – so lautet die wenig befriedigende, wenn auch „alternativlos“ scheinende Lösung. Dabei plant der Referendar oder die Referendarin eine Stunde, schreibt einen Langentwurf und stellt diesen dann mündlich den Fach- und Seminarleitungen vor. Schule mit Schülerinnen und Schülern? Nicht in diesen Zeiten.

 

Examensprüfungen als Trockenschwimmen

 

Mittlerweile müssen die Seminare zum zweiten Mal auch die Examensprüfungen als Trockenschwimmen durchführen. Wenig erquicklich für alle Seiten: Wie einem Fachleiter klarmachen, dass das eigene Konzept funktioniert? Wie einem Referendar begreiflich machen, dass die Stunde zum Scheitern verurteilt ist? Und dennoch: Unsere Referendarinnen und Referendare brauchen Planungssicherheit. Und da es eine solche Zuverlässigkeit in Bezug auf tatsächlichen Unterricht mit leibhaftigen Schülerinnen und Schülern kaum noch gibt – wegen plötzlicher Schulschließungen, Quarantänemaßnahmen, unvorhergesehener Inzidenzentwicklungen –, bleibt uns nur das Umschwenken: Trockenschwimmen.

 

Verkürzung auf 18 Monate und eigenverantwortlicher Unterricht von Beginn an

 

Erinnern Sie sich noch? Ein von Seiten des Ministeriums immer wieder mit Begeisterung ins Feld geführter Grund, das Referendariat zu verkürzen, lag einmal darin, dass man im Studium Praxisphasen geschaffen hatte. Studierende kamen also, so die Argumentation im Ministerium, mit viel Unterrichtserfahrung von der Universität ins Referendariat. Praktika, so die ministerielle Logik, befähigten die Studierenden darüber hinaus zu sofortigem Einsatz im Unterricht ohne Anleitung.

 

Und nun? Mit Corona brechen die von Spin-Doktoren liebevoll ausgedachten Argumente leider auf einmal völlig weg: Aus Praktika wurden „Theoretika“. Gleichzeitig konzipiert das Pädagogische Landesinstitut Fortbildungen für „fertige“ Lehrkräfte, um sie beim Berufseinstieg unterstützen zu können, denn aktuellen Referendarjahrgängen bleibt de facto an Erfahrungs- und Ausbildungszeit nicht viel: 5 Wochen Schule vor der ersten Schulschließung 2020, dann geordnetes Chaos bis zu den Sommerferien, anschließend eine fast „normale“ gut 15-wöchige Phase bis kurz vor Weihnachten, die man mit einem erneuten Komplett-Lockdown teuer bezahlte. Direkt im Anschluss: die Prüfungsphase und das Ende einer intensiven Lehrerausbildung der anderen Art. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Im aktuellen 18-monatigen Referendariat bleibt keine Zeit mehr für eigene Unterrichtserfahrung und Unterrichtssequenzen in den Schulstufen 5/6, 7/8, 9/10, Grundkurs und Leistungskurs.

 

Die Forderungen des Philologenverbandes in Bezug auf das Referendariat

 

Keine Frage, anstrengend und fordernd war das Referendariat wohl schon immer, aber eben mit etwas mehr Zeit: Zeit, um in der Schule anzukommen, um sich in „seiner“ Schule einzubringen, Zeit, die Referendarinnen und Referendaren heute meist fehlt. Mit 24 Monaten, wie wir sie bis zur Einebnung der Lehrämter in Bezug auf das Referendariat 2013 hatten, hätten wir deutlich besser dagestanden: Man hätte zumindest einen zweiten Sommer für die Ausbildung voll nutzen können.

 

In den aktuellen Jahrgängen scheint eine Verlängerung des 18-monatigen Referendariats allerhöchstens als freiwillige Option möglich – als Philologenverband setzen wir uns aber weiterhin für ein Ende der Gleichmacherei und eine Rückkehr zum 24-monatigen Vorbereitungsdienst ein – und zwar, wie früher auch,

 

  • mit der Option auf eine Verkürzung auf 18 Monate, falls man schon Vorerfahrungen mitbrachte,
     
  • mit weniger eigenverantwortlichem Unterricht insgesamt und – auch bei 24 Monaten – keinem eigenverantwortlichen Unterricht im ersten Halbjahr,
     
  • mit konkreten Rückmeldungen in Form von benoteten Lehrproben ab dem 2. Halbjahr statt der Möglichkeit, von den Fachleitungen eine Art „Epochalnote“ zu erfahren. (Immerhin etwas mehr Transparenz für Referendarinnen und Referendare hatten wir als Philologenverband erwirken können – zufriedenstellend ist das Konstrukt dieser Epochalnote allerdings nicht.)

 

Der „Burgfriede“: Das Warten auf die Imhof-Studie

 

Ab 2013 tobte der Kampf um das Referendariat: Referendarinnen und Referendare, Studienseminare, Schulen und der Philologenverband fochten Seite an Seite für Verbesserungen, während das Ministerium mit dem Erreichten zufrieden schien: Verkürzung und mehr eigenverantwortlicher Unterricht bedeuteten ein kostengünstigeres Referendariat und billigere Arbeitskräfte. Die Allianz der betroffenen Referendare, Seminare und Sympathisanten ließ jedoch nicht locker.

 

Das Ministerium zog sich daraufhin auf seine Burg zurück und die Zugbrücken hoch, wedelte ab und an mit der weißen Fahne, ließ einzelne Mutige noch zum Protest in die Burg und hoffte auf besseres Wetter. Hinhalten und Aussitzen, bis die Geschichtsschreibung das alte Referendariat vergessen hätte, schien die Devise zu sein. Die Taktik schien aufzugehen, als Prof. Dr. Margarete Imhof von der benachbarten Universität zu Hilfe eilte, ihres Zeichens ehemalige Gymnasiallehrerin für Englisch und Professorin für Psychologie in den Bildungswissenschaften.

 

Aussitzen hat ausgedient: Die Imhof-Evaluation ist längst da!

 

Auf der Suche nach einem respektablen Forschungsgebiet war die Professorin über den rheinland-pfälzischen Vorbereitungsdienst der verschiedenen Lehrämter gestolpert. Denn, wie sie in ihrer 2020 veröffentlichten Studie schreibt: „Nachdem der Vorbereitungsdienst für die Lehrämter an Schulen in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren umfassend reformiert wurde, ist es wünschenswert, ein Gesamtbild über die professionelle Entwicklung in dieser gestuften und von mehreren Institutionen geleisteten Ausbildung zu erstellen“ (S. 14).

 

Eine willkommene Ablenkung, mögen sich die Verbarrikadierten in ihrer Trutzburg gedacht haben. Sie beteuerten, die Universität sei ganz von alleine auf diese Idee gekommen und man könne ja nun unmöglich querschießen mit neuerlichen Veränderungen, bevor nicht die Studie abgeschlossen sei. Man ließ also die Herolde verkünden, man wolle nun die Studienergebnisse abwarten. Angelegt war die Studie auf drei Jahre. 2020 wurde sie – aufgrund der Corona-Krise – eher still und leise veröffentlicht.

 

Notwendigkeit umgehender Veränderungen ist offensichtlich

 

Den sofort aufkommenden Wunsch der gymnasialen Protestbewegung nach einer vergleichenden Betrachtung des Gymnasialreferendariats (vorher – nachher) erstickt die Studie mit einem knappen Satz auf S. 15 des 175 Seiten umfassenden Berichts zum Referendariat sämtlicher Lehrämter: „Da die Befragungen nach der Reform des Vorbereitungsdienstes, die im Jahr 2013 stattfand, durchgeführt wurde, ist kein direkter Prä-Post-Vergleich möglich.“ Der Philologenverband aber sieht sich (s. Infobox) durch die Studie in allen Forderungen bestätigt und fordert die Politik nun zum Handeln auf – das Abwarten hat lange genug gedauert, die Notwendigkeit von umgehenden Veränderungen liegt auf der Hand.

 

Dreifache Bestätigung des Philologenverbandes durch die Imhof-Studie

 

1. Mehr Zeit

 

Die Frage nach 18 oder 24 Monaten spielte in der Studie keine Rolle. Umso bedeutsamer ist es, dass in (normalerweise in Studien selten genutzten) Freitexteingaben gerade auf die Problematik der fehlenden Zeit sehr deutlich und intensiv hingewiesen wurde:

 

„Ein wesentlich größerer Teil der Anwärterinnen und Anwärter jedoch, nämlich 42,7 % [derer, die eine Angabe im Freitextfeld machten], sehen bezüglich der zeitlichen Strukturen im Vorbereitungsdienst hingegen Verbesserungsbedarf. Sie fordern beispielsweise eine Verlängerung des Vorbereitungsdienstes oder mehr Zeit für Entwicklung bzw. eine zeitliche Optimierung der Ausbildungsveranstaltungen. Auch die genannten zusätzlichen Ausbildungselemente von 16 % der Anwärterinnen und Anwärter [, die die Freitextfelder genutzt hatten] beziehen sich auf die Notwendigkeit für mehr Zeit und Raum für einen stressfreien Unterricht oder für stressfreies Hospitieren“ (S. 105).

 

2. Eigenverantwortlicher Unterricht nicht schon ab dem 1. Halbjahr
(sofern nicht freiwillig auf 18 Monate verkürzt wird)

 

Schützenhilfe gibt die Studie auch bei der Argumentation gegen eigenverantwortlichen Unterricht schon ab dem 1. Halbjahr. Neben eigenverantwortlichem Unterricht bekommt aber angeleiteter Unterricht von angehenden Gymnasiallehrkräften die höchste Wirksamkeit für die Ausbildung zugeschrieben (S. 141). Ein einigermaßen zusammenhängendes Hospitieren ist in Lerngruppen, vor allem Leistungskursen, bei gleichzeitig 8 oder mehr Stunden eigenverantwortlichen Unterrichts allerdings kaum möglich, weil es immer irgendwo zu Überschneidungen kommt.

 

Ein weiteres Argument der Studie: Das Diagnostizieren von Schwächen und Bewerten von Schülerleistungen fällt, wen wundert es, angehenden Lehrkräften im ersten Ausbildungshalbjahr schwer (S. 53 und 145). Nach derzeitigem Stand müssen Referendarinnen und Referendare aber im eigenverantwortlichen Unterricht bereits im ersten Halbjahr versetzungsrelevante Noten geben.

 

3. Noten

Tatsächlich kommt die Imhof-Studie zu dem Schluss, dass die frühere Rückmeldung in Notenform eine gute Sache ist: „Die notenmäßige Rückmeldung, die nur Anwärterinnen und Anwärtern in den Lehrämtern für Gymnasien angeboten wurde, wurde von diesen im 2. Ausbildungshalbjahr als ein hilfreiches Ausbildungselement wahrgenommen, auch aus der Retrospektive im 3. Ausbildungshalbjahr heraus ändere sich diese Wahrnehmung nicht. Die im Gespräch gegebenen Rückmeldungen von den jeweiligen Fachleitungen wurden von den Anwärterinnen und Anwärtern jedoch als noch bedeutsamer eingeschätzt“ (S. 49). Dass Noten durch Gespräche ergänzt werden müssen, in denen deutlich wird, wo Verbesserungsmöglichkeiten liegen, ist selbstverständlich.