Selbstverantwortliche Schulen - verantwortungslose Länder? Plädoyer für die Bewahrung eines intelligenten Föderalismus

BLICK 300

Foto: Jochen Ring

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Deutschlandweit lassen sich derzeit im politischen Diskurs zwei Tendenzen, die in einem logischen Widerspruch zueinander stehen, feststellen: Zum einen sollen nach dem Willen insbesondere neoliberaler Ökonomen Schulen selbständiger werden und damit verbunden die Möglichkeit erhalten, auf der Grundlage der ihnen zugewiesenen Finanzmittel pädagogische und personelle Entscheidungen gemäß den vor Ort gewünschten Schwerpunktsetzungen zu treffen. Zum anderen will eine immer größer werdende Anzahl von Bildungspolitikern die klare Trennung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in Bildungsangelegenheiten aufheben, was mit der Formel von der "Abschaffung des Kooperationsverbotes" (Wer mag schon Verbote?) einen Zugewinn an Gestaltungsmöglichkeiten zu implizieren scheint.

Gegen die selbständige Schule

1. So sehr im Einzelfall ein flexibles Agieren der Verantwortlichen entsprechend den lokalen Gegebenheiten und den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern zu begrüßen ist, hat sich der Philologenverband immer mit guten Gründen gegen die bislang im Modell-Projekt-Stadium verharrende selbständige Schule ausgesprochen:

 Die größere Selbständigkeit von Schulen bei der Personalauswahl konfligiert notwendig mit dem Prinzip der Bestenauslese, das auf der Rangfolge von Examensnoten basiert. Auch wenn im Einzelfall der erfahrene und beliebte, infolge einer Zwangsfusion freigesetzte Orchestermusiker einen größeren Segen für die betreffende Bildungseinrichtung zu werden verspricht als der frisch gebackene Assessor, sollte aus dem höheren Interesse, dass grundsätzlich derjenige, der sich in einem (derzeit noch) recht objektiven Bewertungsverfahren (Referendariat inklusive Abschlussprüfung) als der bessere erweist, den Zuschlag für eine Planstelle erhalten.

 Das Programm der selbständigen Schule verschleiert insofern Zuständigkeiten, als eine öffentliche Bildungsanstalt in der Regel keine eigenen pekuniären Mittel generieren kann und damit bei Ressourcenknappheit eine Entscheidung in der Zwangslage einer Mangelverwaltung treffen muss, die von der Frage der ausreichenden Finanzmittelzuweisung durch das Bundesland ablenkt und die Schule daher für Unterrichtsausfall verantwortlich erscheinen lässt, wo sie es im Grunde nicht ist: Die Schule und nicht mehr das Land müsste sich nunmehr bei grundsätzlich zu knapper Ressourcenausstattung dafür rechtfertigen, dass der Lateinunterricht vollumfänglich stattfindet, während der Mathematikunterricht gekürzt wurde, dass der Musik-, aber nicht der Physikraum saniert wird, dass die Klassenzimmer, jedoch nicht die Toiletten gereinigt werden.

Fazit: Die selbstverantwortliche Schule entlastet die Politik von ihrer Verantwortung vor der Öffentlichkeit; sie verschiebt, aber löst nicht das Problem der Unterfinanzierung der Schulen und gefährdet das Prinzip der Bestenauslese.

Bitte keine Eingriffsrechte für den Bund!

2. Wer würde sich dagegen sperren, dass mehr Geld für Bildung ausgegeben wird? Diese m.E. allzu berechtigte Forderung erfährt seit einigen Monaten ein Junktim, das grundsätzliche Überlegungen zum föderalen Staats-Verständnis erfordert. Der an sich vernünftige Wunsch nach mehr Investitionen in Bildung soll, glaubt man den Gegnern klarer Zuständigkeit zwischen Bund- und Länder-Aufgaben, nicht schon dadurch erfüllbar werden, dass das Finanzgefüge zwischen Bund und Ländern auf den Prüfstand gestellt und entsprechend nachjustiert wird; der große Wurf, so das Schein-Argument, könne vielmehr allein dadurch gelingen, dass künftig der Bund mit den Ländern kooperieren dürfe (Wer kann schon etwas gegen Kooperation einwenden?), was nichts anderes bedeutet, als dass Geldzuweisungen für konkrete Bildungsprojekte an die Bundesländer mit Mitspracherechten des Bundes für den Mitteleinsatz erkauft werden. Die Länder verlören jedoch damit einen Teil ihrer Gestaltungsmöglichkeiten, was diejenigen erfreuen dürfte, die sich davon auch in Bildungsdingen eine Nivellierung im Sinne der Gleichheit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erhoffen.

Nun gibt es jdoch gute Gründe gegen jegliche Lockerung des Kooperationsverbotes, die an dieser Stelle mit Nachdruck in Erinnerung gerufen werden sollen.

Subsidiarität

I. Dem deutschen Föderalismus liegt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip zugrunde, demzufolge Gemeinschaftsaufgaben von einer möglichst niedrigen (staatlichen) Instanz erfüllt werden, so dass bei ihrer Ausführung ein größtmögliches Maß an Transparenz, Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie Bürgernähe erreicht wird.

Länderhoheit

II. Der Bildungsbereich ist so ziemlich das einzige Gebiet, in dem die Länder noch politische Gestaltungskompetenz und ungeschmälerte Selbständigkeit beweisen können. Ihnen diese Möglichkeit wegzunehmen bzw. sie zu reduzieren, würde nach Einschätzung vieler Staatsrechtler den Föderalismus gänzlich obsolet werden lassen.

Verantwortlichkeiten

III. Eine Verwischung der Zuständigkeiten in Bildungs- (und anderen) Angelegenheiten verwässert die Verantwortlichkeit, die Landesregierungen im Guten wie im Schlechten ausüben können. Wenn einzelne Bundesländer wie Berlin ihr Schulsystem an die Wand fahren (extrem hoher Anteil an fachfremd Unterrichtenden, Abwanderung qualifizierter Lehrkräfte aufgrund unattraktiver Berufsbedingungen, sechsjährige Grundschule, Vernachlässigung der Lehrerausbildung, Abiturbestnoteninflation, Reformwut, unausgegorene pädagogische Experimente am laufenden Band), andere dagegen Qualität und Studierfähigkeit von Abiturienten in den Vordergrund rücken, hat das zwar auch mit finanziellen Ressourcen, sehr viel mehr aber mit politischer bzw. pädagogischer Ideologie zu tun. Der Wähler, der bei der Aufhebung des "Kooperationsverbotes" nicht mehr durchschauen könnte, welche Instanz in welchem Bereich der Bildung verantwortlich agiert hat, sollte meiner Meinung nach klar erkennen können, welche Parteien, die bei einer Landtagswahl antreten, für welche (Bildungs-)Konzepte und entsprechende künftige Maßnahmen stehen, und im Einklang damit abstimmen! Dann kann er frei entscheiden, ob es ihm wichtiger ist, dass ein Land über genügend Regionalflughäfen, subventionierte Vergnügungsparks, Autorennstrecken oder aber gut ausgestattete Schulen verfügt.

Wettbewerbsföderalismus

IV. Nur wenn Bundesländer mit einem Höchstmaß an Eigenständigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten ausgestattet sind, ergibt der Gedanke des Wettbewerbsföderalismus Sinn. Manche Länder agieren in den diversen Politikbereichen erfolgreicher als andere. Die Bürger können den Erfolg oder Misserfolg der aus einer politischen Grundausrichtung erwachsenden Maßnahmen nicht mehr dem Bildungskonzept einer Landesregierung zuordnen, wenn die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern verwischt werden. Die in Nordrhein-Westfalen krachend gescheiterte Schulministerin Löhrmann hätte im Wahlkampf die Ursachen für die offensichtlich desaströse Bildungssituation der fehlenden Unterstützung durch den Bund zuschieben können, wenn es nicht "das Kooperationsverbot" gegeben hätte.

Gleichheit oder Gerechtigkeit?

V. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse ist kein Wert an sich. Die Einstellung, die es für wichtiger erachtet, dass im Bundesgebiet alle Schulen so gut oder so schlecht wie in Bremen oder Berlin sind, anstatt dass Länder sich bildungspolitsch gegenüber anderen profilieren können und damit notwendig Ungleichheit erzeugen, halte ich für völlig inakzeptabel.

Fazit: Es spricht nichts gegen eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Die sogenannte "Aufhebung des Kooperationsverbotes" muss damit nicht verknüpft werden. Verantwortungsvolle und sich dem Föderalismus verpflichtet fühlende Landespolitiker werden daher nicht für die Beschneidung originärer Landeskompetenzen und nicht für eine Abschaffung des "Kooperationsverbotes" werben. Aus gutem Grund hat einer der integersten deutschen Politiker, Bundestagspräsident Norbert Lammert, entsprechenden Bestrebungen auch seiner Parteifreunde eine klare Abfuhr erteilt, ist dem Urteil gebildeter Verfassungsrechtler gefolgt und hat am 01.06. gegen eine Verfassungsreform gestimmt. Zu Recht beklagt am 02.06. der stellvertretende Vorsitzende der zweitgrößten Fraktion in Rheinland-Pfalz, Dr. Alfred Weiland, in einem Newsletter, „dass die Landtage immer weniger zu entscheiden und zu kontrollieren haben“. (Dass auf der Basis dieses zutreffenden Befunds der rheinland-pfälzische Landtag eine Diätenerhöhung beschlossen hat, die, wie dbb-Spitzenjurist Malte Hestermann herausgestellt hat, jegliches Augenmaß vermissen lässt, kann daher umso weniger von konsequent denkenden Menschen nachvollzogen werden.)