Time for change? Schule zwischen demokratischem Bildungsauftrag und manipulativer Steuerung

BLICK 308

„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Windmühlen, die anderen Mauern.“

(Irgendwann einmal alte chinesische Weisheit, mittlerweile neoliberale Zeitgeist-Esoterik)

Am Samstag, dem 03. Februar 2018, fand  an der Bergischen Universität Wuppertal eine von mehreren Hochschulen sowie der Gesellschaft für Bildung und Wissen verantwortete Tagung unter dem im Titel genannten Thema statt, die von mehreren hundert Interessierten aus ganz Mitteleuropa besucht wurde. Ziel der Veranstaltung war das Bemühen, Ansprüche demokratisch nicht legitimierter Organisationen wie der OECD, das Bildungssystem (noch) freier Gesellschaften auf Effizienz und Wirtschaftsorientierung zu trimmen, als subjektfeindlich zu entlarven und Möglichkeiten des Widerstands dagegen aufzuzeigen.

Beworben wurde die achtstündige Veranstaltung mit den Worten: „Die [scil. durch die OECD induzierten] Reformen selbst kommen in der emphatischen Sprache völliger Alternativlosigkeit daher. Sie unterstellen: ‚Es ist Zeit für den Wandel!‘ Neu ist immer besser; wer nicht mitmacht, ist von gestern – und wird mit sanftem oder unsanftem Druck auf die neue Linie gebracht. Dazu werden zunehmend sozialpsychologische Steuerungsinstrumente des sogenannten ‚Change Managements‘  eingesetzt. Statt Sachdiskussionen zu führen, wird an ‚Einstellungen‘ gearbeitet. Derart manipulativ sollen pädagogische Überzeugungen und konkretes Handeln der an Schule Beteiligten verändert werden.“

Wertvolle Impulse lieferten die Referenten, die sich in ihren Forschungs- und Lehrgebieten für die Erneuerung eines emanzipativen und partizipativen  Humanismus einsetzen:

• Prof. Dr. Ursula Frost von der Universität Köln setzte den Kompetenzprofilen, die sich, so ihre Feststellung, wie die Produktionsbeschreibungen von Waschmaschinen und Kameras lesen, eine Vorstellung von Schule entgegen, die „die unmittelbare Unterwerfung unter faktisch wirksame gesellschaftliche Systeme [unterbricht], um sie für eine neue Generation zu denken und zu öffnen“. Schulen sind nach diesem Verständnis dazu da, „individuelle und gemeinschaftliche Lebenswege in diskursiver und dialogischer Auseinandersetzung“ zu ermöglichen.

• Der baden-württembergische Vertreter des Philologenverbandes, Cord Santelmann, legte dar, dass alle empirischen Studien nachweisen, dass Fächerverbünde wie „BNT“ (Biologie, Natur, Technik) oder „WBS“ (Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung) der Fachlichkeit schaden, und plädierte dafür, der Humanisierung Vorrang vor der Digitalisierung einzuräumen.

• Dass der frühere sozialdemokratische Kultusminister Andreas Stoch gemeinsam mit der Holtzbrinck-Stiftung junge Menschen statt zu „mündigen Bürgern“  eher zu „Wirtschaftsbürgern“ (aus)bilden wolle, wendete Dr. Matthias Burchardt von der Universität Köln dahingehend ins Allgemeine, dass sich der „neoliberale Geist mal sozialdemokratisch, mal ökologisch, dann wieder wirtschaftsfreundlich“ zeige.

• Prof. Dr. Silja Graupe von der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues setzte in einem phantasievollen Vortrag „Change Management“ mit „Gehirnwäsche“ gleich. Ihr gelang es, den totalitären Charakter der von oben verordneten und subtil durchgesetzten Innovationseuphorie bloßzulegen. Sie bezeichnete das Konzept, das hinter den Steuerungsabsichten von OECD und Bertelsmann stehe, als Ausdruck von „libertärem Paternalismus“, der an demokratischer Partizipation vorbei die Bequemlichkeit der Menschen ausnutze und für sich in Anspruch nehme, a priori zu wissen, was gut für die Mehrheit sei.

• Prof. Dr. Ladenthin von der Universität Bonn legte dar, dass die Auftragsforschung von PISA unseriös agiere, da die entsprechende wissenschaftliche Kontrolle fehle. PISA maße sich an, weltweit sowohl Diagnose als auch Therapie für Bildungssysteme zu liefern, obwohl Wissenschaft immer nur Befunde abgeben sollte, die durch demokratisch legitimierte Institutionen bewertet werden müssten. PISA liege demnach eine Philosophie zugrunde, wonach „die Welt einen Sinn hat, den die OECD kennt und der im wirtschaftlichen Bereich“ zu suchen sei. Im konkreten Unterricht dagegen finde eine „Entsorgung der Sache“ statt, selbstgesteuertes Lernen führe zu sozialer Atomisierung, während die Alternative, der Klassenunterricht, darauf angelegt sei, „Fachlichkeit und Sozialität“ zusammenzuführen.

• Eine Elternvertreterin aus Baden-Württemberg bestätigte in einer Podiumsdiskussion Ladenthins Befund: Schüler seien überfordert, Lehrer kontrollierten wegen Überlastung keine Hefte mehr, was, ganz im Sinne neoliberalen Outsourcings, von den Eltern, zumindest von denen, die dazu in der Lage seien, übernommen werden müsse. Die „brutale Lautstärke“ in Grundschulklassen machten die Verwendung von Ohrenschützern notwendig.

Prof. Dr. Jochen Krautz von der Universität Wuppertal gebührt großer Dank für die Organisation einer bemerkenswerten und wichtigen Tagung!