Tragfähige Lösungen für das neue Schuljahr dringend erforderlich: Mehr Logik, eine ehrliche Debatte und keinen Zickzackkurs!

Am 18.06.2020 verkündete die rheinland-pfälzische Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Dr. Stefanie Hubig bei einer Pressekonferenz, man wolle „zur Gewährleistung des Rechts auf Bildung von Kindern und Jugendlichen“ nach den Sommerferien wieder zurück zum regulären Schulbetrieb nach geltender Stundentafel. Dafür müsse allerdings „die 1,50-Meter-Abstandsregelung entfallen […], sofern es das Infektionsgeschehen zulässt“. Dem Arbeitsschutz wolle sie weiter „in vollem Umfang Rechnung tragen“.

 

„Diese Überlegungen führen zur folgenden absurden Situation“, kritisiert die Vorsitzende des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz, Cornelia Schwartz. „‚Draußen‘, etwa in den Behörden, beim Einkaufen und anderswo, gilt der 1,50-Meter-Sicherheitsabstand – ‚drinnen‘, in der Schule, soll nun plötzlich darauf verzichtet werden, getreu dem Motto ‚Was nicht passt, wird passend gemacht.‘ Das ist völlig unlogisch: Falls sich das Virus im Herbst über die Schulen verbreitet, nicht zuletzt über die dann wieder viel zu vollen Schulbusse, wäre schnell auch die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen, denn gerade Infektionen in den Schulen streuen weit: über die Familien in die Betriebe, über Geschwisterkinder in andere Bildungseinrichtungen und letztlich in alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Die Erfolge des teuer erkauften Lockdowns vom März wären somit schnell zunichte gemacht.“

 

Der Philologenverband Rheinland-Pfalz empfiehlt daher dringend, die Voraussetzungen für das zweifellos Wünschenswerte, nämlich die vollständigen Schulöffnungen, nicht außer Acht zu lassen und in die Runde der das Bildungsministerium beratenden Experten auch Virologen und Epidemiologen aufzunehmen. Zu den renommiertesten gehören derzeit der Chef des Robert-Koch-Instituts, Prof. Lothar Wieler, der Chef-Virologe der Berliner Charité, Prof. Christian Drosten, und in Rheinland-Pfalz Prof. Bodo Plachter von der Universitätsmedizin Mainz. „Nur unter Einbeziehung von Experten aus dem Bereich der Virologie und Epidemiologie lässt sich überhaupt eine ehrliche Debatte führen“, gibt Schwartz zu bedenken. „Mittlerweile kursieren leider viele irreführende Glaubenssätze, die auch durch ständige Wiederholung kein bisschen wahrer werden!“ Im Anhang führen wir die Entgegnungen der genannten Experten zu den häufigsten Fehlurteilen auf.

 

Der Philologenverband vertritt durchaus die Meinung, dass man gleichzeitig den nötigen Infektionsschutz gewährleisten und zum Regelbetrieb an den Schulen zurückkehren kann – es kostet jedoch schlicht Geld. So, wie unter anderem auch die Sicherung der Arbeitsplätze bei der Lufthansa und anderen Unternehmen Geld kostet. Viel Geld. Die Bildung und damit die Zukunft unseres Landes sollten uns das wert sein!

 

Unsere Forderungen fürs neue Schuljahr lauten daher: Wir brauchen nicht nur einen Digitalpakt, sondern, viel weitergehend, einen großen Schulpakt! Während des Sommers lassen sich mit entsprechenden Finanzmitteln folgende Dinge umsetzen, die auch abgesehen von Corona deutliche und lange überfällige Verbesserungen mit sich brächten:

 

  • Wir fordern deutlich kleinere Klassen, und zwar so klein, dass sich der hygienetechnisch notwendige Abstand zwischen den Menschen in der Schule auch einhalten lässt!
     
  • Wir fordern wir mehr Planstellen, damit die kleineren Klassen gut mit Lehrkräften versorgt werden können.
     
  • Wir fordern mehr Klassenräume.
     
  • Diese Klassenräume sollten entsprechend ausgestattet sein: Waschbecken mit fließend warmem Wasser, Handtuchhalter mit Einweghandtüchern, Seifenspender, ggf. Desinfektionsmittelspender.
     
  • Wir fordern einen auf die aktuelle Situation vorbereiteten öffentlichen Personennahverkehr, in dem Abstandsregeln eingehalten werden können und auch durchgesetzt werden.
     
  • Wir fordern, wo sinnvoll und gewünscht, die Ausstattung mit digitalen Endgeräten!

 

Eine Rückkehr vom normalen Regelbetrieb (Plan A) in den kompletten Lockdown (Plan C) im Laufe der ersten Wochen nach den Sommerferien gilt es nach unserer Ansicht unbedingt zu vermeiden. Wenn die Politik sich gegen den Einsatz entsprechender Finanzmittel entscheidet, darf es keinen Zickzackkurs von Regelbetrieb und kompletter Schulschließung geben, sondern dann lieber verlässliche, funktionierende und erprobte Lösungen mit einem Wechsel aus Präsenz- und Fernunterricht (Plan B). „Dies bleibt allerdings immer die deutlich schlechtere Option. Politik und Gesellschaft können jetzt also zeigen, was ihnen Bildung und die Zukunft unserer Kinder wert sind und die obigen Forderungen erfüllen. Als Philologenverband sind wir davon überzeugt, dass unsere Kinder und ihre Bildung mindestens ebenso systemrelevant sind wie Unternehmen der Luftfahrt und anderer Wirtschaftszweige, und fordern die notwendigen finanziellen Ressourcen“, sagt Schwartz abschließend.

 

Anhang:
 

Prof. Drosten, Prof. Wieler und Prof. Plachter räumen mit gängigen Vorurteilen auf und setzen Folgendes dagegen:
 

1. Es gibt keine gesicherten Daten zur Behauptung, Kinder seien weniger ansteckend!
 

Prof. Plachter:
 

„Wir haben im Augenblick noch wirklich keinen Überblick, wie ‚gefährlich‘ die Schule ist. Das Problem ist, dass natürlich nach Auftreten dieser Pandemie fast in allen Ländern weltweit die Schulen eben geschlossen wurden, so dass wir nicht wirklich gute Daten haben, was in den Schulen wirklich passieren kann.“
 

News4teachers fasst zusammen:
 

„Drosten übt scharfe Kritik an Kultusministern, die vollständige Schulöffnungen damit begründen, dass Kinder am Infektionsgeschehen nicht beteiligt seien. Das ist ihm zufolge schlicht: falsch. Er fordert eine ehrliche Debatte.“
 

Prof. Drosten:
 

„Wir müssen unbedingt damit aufhören, zu sagen, die Kinder sind ja gar nicht betroffen – das ist eine Fehlinformation. Die kann uns auf die Füße fallen.“
 

News4teachers weiter:
 

„Da nütze es auch nichts, wenn bestimmte Interessengruppen immer wieder erklärten: ‚Kinder haben ein Recht auf Bildung – das stimmt ja‘, so Drosten. ‚Aber ich bin Wissenschaftler. Wissenschaft hat keine Meinung. Wissenschaft ist eine Faktenlage.‘ Und dieser Realität müsse sich die Politik nun mal stellen.'“
 

rbb.de berichtet zur Situation nach dem Lockdown und der anschließenden Schulöffnung in Israel:
 

„Nach umfangreichen Lockerungen seien dort Schulen in den Fokus geraten, da 40 Prozent der Neuinfektionen auf Schulkinder entfielen, so Wieler. ‚Die Pandemie ist ja nicht vorbei‘, sagte der RKI-Präsident, ‚sie ist weltweit nicht vorbei und sie ist auch in Deutschland nicht vorbei.“
 

2. Das Virus ist nicht aus Deutschland verschwunden, und die Situation kann sich jederzeit auch wieder verschlimmern.
 

News4teachers zitiert Prof. Drosten:
 

„‚Wir müssen alle Alarmsensoren wieder anschalten.‘ Das betreffe insbesondere auch die Kitas und Schulen.“
 

3. Prävention ist sinnvoller als routinemäßige Massentestungen.
 

News4teachers zitiert Prof. Drosten:
 

„Das Coronavirus war laut Drosten niemals wirklich verschwunden und werde ‚demnächst unbemerkt wieder überall sein‘ – auch in Schulen und Kitas. Mit Reihentestungen von Schülern und Lehrern allein lasse sich die Pandemie nicht in den Griff bekommen. ‚Man kann ein Virus nicht wegtesten.‘ Und zu viele positive Fälle könnten eben dazu führen, dass ‚wir plötzlich feststellen: Die Konsequenz ist, dass wir überall die Schulen wieder schließen müssen.‘“
 

4. Abstand halten ist weiterhin angebracht!
 

Prof. Drosten:
 

„Ich bin nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht.“
 

„Nicht zu viele Personen, nicht in einem geschlossenen Raum […].“
 

rbb24 fasst die Aussagen von Prof. Wieler bei einer Pressekonferenz zusammen:
 

„Wieler appellierte, die AHA-Regeln weiterhin einzuhalten und entsprechend auf Abstand, Hygiene und Alltagsmasken nicht zu verzichten, um das Virus in Schach zu halten. ‚Wenn wir ihm die Chance geben, sich auszubreiten, dann nimmt es sich diese auch‘, sagte er.“
 

Quellen:
 

Aussagen von Prof. Drosten:
 

https://www.news4teachers.de/2020/06/alarmsensoren-wieder-anschalten-drosten-warnt-das-coronavirus-wird-unbemerkt-bald-wieder-ueberall-sein-auch-in-kitas-und-schulen/, 24.06.2020.
 

Aussagen von Prof. Wieler:
 

https://www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/06/berlin-brandenburg-corona-lockerungen-reproduktion-fallzahlen-infektionen-neukoelln-rki.html, 23.06.2020.
 

Aussagen von Prof. Plachter: SWR aktuell am 18.06.2020
 

www.ardmediathek.de/ard/video/swr-aktuell-rheinland-pfalz/sendung-19-30-uhr-vom-18-6-2020/swr-rheinland-pfalz/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzEyNTk3MzA/, 18.06.2020.