„Vera-8“ - Zumutung oder Lachnummer?

BLICK 287

Ralf Hoffmann

Ralf Hoffmann

Foto: Vera-8 - Korrekturberg für eine achte Klasse

Foto: Vera-8 - Korrekturberg für eine achte Klasse

„Dieses Jahr ist Deutsch dran gewesen“

Alles beginnt bei der diesjährigen Vergleichsarbeit für die Klassen 8 - kurz „Vera-8“ genannt - mit einer 8-seitigen Anleitung, die den Lehrkörper mit der Durchführung des Tests vertraut machen soll. Hierin ist genau vorgeschrieben, in welchem Wortlaut - und hierfür bedarf es 423 Wörter - die Arbeitsanweisungen in der Klasse vorgelesen werden müssen. Die Lehrkraft tut gut daran, sich nicht über eine totalitäre Vereinnahmung zu ärgern, sondern sich z.B. auf ein Rollenspiel einzulassen und den Statisten zu geben, der roboterhaft Anweisungen ausführt und dementsprechend seinen Text abspult. In der Praxis sorgt eine solch pervertierte Lehrer-Karikatur für Amüsement bei der Zielgruppe, und wir gehen dabei einmal von einer durchschnittlichen, 28-köpfigen gymnasialen Lerngruppe aus.

Extrem fragwürdige Kompetenztestung für Schülerinnen und Schüler

Wer sich in hoffnungsvoller Erwartung auf eine Musterklausur gefreut hat, die endlich kompetenzorientiert ist, weil sie die nationalen Bildungsstandards berücksichtigt, dem sei gesagt: Obacht!

Man sollte da einmal überdenken, ob 270 Ankreuzmöglichkeiten im Multiple-Choice-Stil tatsächlich Aufschlüsse z.B. über kommunikative Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler geben können. Selbstständiges Schreiben (kreativ, reflektierend oder kommunikativ) wird in dem Test nicht verlangt; und wenn einmal ganze Sätze formuliert werden müssen, reicht es oftmals aus, Passagen aus dem vorgegebenen Arbeitsmaterial abzuschreiben und in die etwa 60 dafür vorgesehenen Textlücken einzufügen.

Insofern ist es den Deutsch-Lehrkräften dringend geboten, den Hinweisen auf den Seiten des Bildungsservers Rheinland-Pfalz zu folgen und den Test „Vera 8“ nicht als Klassenarbeit zu gebrauchen; er taugt überhaupt nicht als Bewertungsgrundlage für die Notenvergabe, ist er doch auch in keiner Weise mit dem Deutschunterricht verknüpft. Bei einer nicht repräsentativen Stichprobe (100 Schülerinnen und Schüler) hat sich außerdem eine fehlende Trennschärfe gezeigt: Sehr gute und sehr schwache Leistungen sind fast nicht vorgekommen; über 90% der Schülerinnen und Schüler haben zwischen 45 und 70% der Aufgaben gelöst.

Mit Medienkompetenz kommen die Prüflinge nur insofern in Berührung, als das einzig zulässige Hilfsmittel „ein schwarzer oder dunkelblauer Stift“ ist (Durchführungserläuterung zu Vera-8, Seite 2). Der Duden darf nicht etwa, wie es ansonsten bei Klassenarbeiten in Rheinland-Pfalz üblich ist, zu Korrekturzwecken verwendet werden. Unberücksichtigt bleiben in diesem Zusammenhang auch bestehende Vereinbarungen zu einem Nachteilsausgleich. Sämtliche Inklusionsbemühungen konzentrieren sich in dem Test auf ein Kreuzchen im Schülererfassungsbogen, das die jeweilige Lernbehinderung angibt.

Möglicherweise unbeabsichtigte Kompetenztestung für Lehrkräfte

Ganz anders sieht das bei den Lehrkräften aus. Auch wenn es zunächst eine 19-seitige Auswertungsanleitung für den Test gibt, die wenig Spielraum für die Überprüfung eigener Kompetenzen zu geben scheint – bei Lehrerinnen und Lehrern sind Kompetenzen im Rahmen der Korrekturen gefragt:

Verdeutlichen wir uns dies unter Rückgriff auf die eingangs erwähnte Gymnasialklasse: Es warten unter den gegebenen Umständen 644 Korrekturseiten mit rund 1.700 Textelementen und 7.560 Ankreuzmöglichkeiten auf die Deutschlehrerin bzw. den Deutschlehrer. Die in der Auswertungsanleitung vorgesehene Verschlüsselung (1 = richtig, 2 = falsch, 3 = nicht beantwortet) ist zunächst manuell (Kuli, Auswertungsbogen) und dann digital (Online-Eingabemaske beim „Zentrum für Empirische Pädagogische Forschung“ an der Uni Koblenz-Landau) zu bewältigen. Die Erfordernis medialer Kompetenz – unter anderem schon beim passwortgeschützten Einloggen – ist offensichtlich.

Wenn gut zwölf Stunden zusätzlicher, unbezahlter Korrekturaufwand bevorstehen, erweisen in der Praxis möglicherweise zwei weitere Kompetenzen hilfreiche Dienste: Mittels Führungskompetenz könnte man einen Teil der Korrekturarbeit in die Fachschaft Deutsch verlagern, denn die soll ja auch anschließend auf der Basis der Testauswertung kooperativ Unterricht entwickeln. Gegebenenfalls kann man aber auch auf der in vielen Kollegien vorhandenen hohen Sozialkompetenz aufbauen, die dann nach dem Motto „geteiltes Leid ist halbes Leid“ für eine entsprechende Entlastung beim Korrigieren sorgt.

Gut auch, wenn man mehr organisatorische Kompetenz aufweist als die Macher der Korrekturvorlage. Weil hier die Seitenumbrüche andere sind als in den Schülerbögen, braucht es Kolleginnen und Kollegen, die sofort messerscharf erkennen, dass es arbeitseffektiver ist, zunächst die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) angebotenen Korrekturvorlagen entsprechend zurechtzuschneiden und neu zu kopieren, damit man sie dann neben die Schülerbögen legen kann und somit Übertragungsfehler vermeidet.

Kommunikative Kompetenz können schließlich Lehrkräfte zeigen, wenn sie auf die Äußerung eines Schülers „Warum korrigieren das nicht die Leute, die kein besseres Hobby haben?“ eine angemessene Antwort geben.

Fazit:

Schwer einzuschätzen, ob die Alternative - den Test nach seiner Auswertung zu entsorgen oder den Schülerinnen und Schülern zurückzugeben - den Lehrkräften, die ihre Arbeitszeit dafür investiert haben, komisch, absurd oder zynisch erscheint.

Einzig positiv nur, dass es Vera-8 in Rheinland-Pfalz verpflichtend für jedes Hauptfach nur noch in dreijährigem Turnus gibt und nicht mehr jährlich, wie es noch in einigen anderen Bundesländern der Fall ist. Zu dieser Veränderung hat sicherlich auch die stets fundamentale Kritik des hiesigen Philologenverbands beigetragen.

Eine neue Aufgabe, die das IQB an der Humboldt-Universität zu Berlin ins Auge fasst, ist eine Evaluierung der zentralen Teile der Abiturprüfung. - „Nachtigall, ick hör dir trapsen“ … mangels eigenen Personals im Institut droht die Umsetzung solcher Vorhaben wieder auf Kosten der Zeit der Kolleginnen und Kollegen an den Schulen vor Ort, die mit Abiturprüfungen ohnehin schon zusätzlich belastet sind. Hier gilt den im Land Verantwortlichen der Appell: Wehret den Anfängen oder schafft nötige personelle Ressourcen, die sich dann solcher Zusatzaufgaben annehmen können.