Wider den Stress durch permanente Überforderung: Sinnvolle Grenzen und neue Freiräume für Schülerinnen und Schüler

BLICK 296

Foto: Cornelia Schwartz

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Stress durch digitale Medien muss nicht sein

Genau wie Erwachsene fühlen sich auch Schüler durch die unüberschaubare Informationsflut und den permanenten Mitmachdruck der sozialen Medien überfordert. Das Phänomen „digitaler Stress“ bei elf- bis siebzehnjährigen Schülerinnen und Schülern aus Rheinland-Pfalz ist derzeit Gegenstand einer Studie der Johannes- Gutenberg-Universität Mainz. Klar ist: 96 Prozent aller Schülerinnen und Schüler besitzen ein Smartphone, nicht wenige betreiben vermeintliches „Multi-Tasking“, sind also online aktiv, während sie sich unterhalten, essen oder Hausaufgaben machen.

Eine Antwort auf diese Entwicklung ist Alexander Markowetz‘ Buch „Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist“. Tenor des Buches: Multi-Tasking gibt es nicht, wer versucht, mehrere Dinge gleichzeitig zu machen, kann sich weniger gut konzentrieren. Markowetz zitiert amerikanische Untersuchungen, wonach geistig arbeitende Menschen durch Smartphone-Unterbrechungen 28 % ihrer Arbeitszeit verlieren; allein in der amerikanischen Wirtschaft schlägt das mit einem Verlust von 588 Milliarden Dollar pro Jahr zu Buche, so Analysten der New Yorker Technologiefirma Basex. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, zu welchen Ergebnissen die Längsschnittstudie der Universität Mainz kommt und welche Folgerungen daraus gezogen werden.

Was riet Peter Lustig seinen Zuschauern regelmäßig nach seiner Sendung Löwenzahn: „Also, ihr wisst schon Bescheid: abschalten.“ Um dann kurze Zeit später wieder auf dem Bildschirm zu erscheinen mit „Ha, ihr seid ja immer noch da! Abschalten! Kommt nix mehr!“ Der Umgang mit dem Fernsehen à la Peter Lustig ist wegweisend: Digitale Medien in Maßen können gewinnbringend und sinnvoll genutzt werden. Jenseits der digitalen Medien gilt, es Freiräume zu entdecken: Stress durch digitale Medien muss nicht sein. Eltern und Gesellschaft müssen hier klare Grenzen ziehen und medienfreie Räume schaffen.

Zweifelhafte Empfehlungen gegen Stress

Ähnlich wie die Überforderung durch digitale Medien verursacht schulische Überforderung Stress. Absurdeste Lösungsansätze geistern dabei durch die Gegend: So wie manche die totale Abstinenz von Computern und digitalen Medien fordern, schreien Chefideologen einer bestimmten politischen Richtung immer wieder nach der Abschaffung des Sitzenbleibens und gar nach einer Abschaffung von Noten generell, in der irrigen Annahme, damit bei der Lösung der Probleme der Menschheit einen großen Schritt vorangekommen zu sein.

So meldete sich Mitte Februar auch die Bundes-GEW mit der Forderung nach Abschaffung der Noten zu Wort. Dabei müsste es allen eigentlich klar sein, dass Erfolge unserer Gesellschaft auf vielen Säulen fußen: Da geht es um mitmenschliche Werte, um das Sozialsystem, aber auch um Leistung und die Finanzierung unseres Wohlstandes. In der Schule komplett auf die Frage nach der Leistung zu verzichten, das geht vielen Bundesbürgern dann doch zu weit. Umfragen, zuletzt des Meinungsforschungsinstituts YouGov, belegen, dass drei von vier Deutschen auf Noten nicht verzichten wollen.

Noten beizubehalten ist eine vernunftbegründete Entscheidung, die das Wohl des Einzelnen im Blick behält. Wer in einer Klassenstufe auch bei intensiver Förderung permanent überfordert ist, kann in der nächsten Stufe nicht sinnvoll mitarbeiten, sondern würde nur noch mitlaufen, im Lernstoff immer weiter zurückfallen und wäre immer stärker überfordert und frustriert. Als Lehrer beobachten wir allzu oft, dass gerade die schwächsten Schüler zum Klassenclown werden und damit um Anerkennung oder doch wenigstens um Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler werben. Durch das freiwillige Zurücktreten oder in letzter Konsequenz durch das Sitzenbleiben bekommen sie eine neue Chance, können Lücken schließen und gewinnen Zeit zum Reifen.

Notbremse Schulordnung

Nicht immer führt aber mehr Zeit zum gewünschten schulischen Erfolg. Weisen Begabung und Motivation in eine andere Richtung als in die des Gymnasiums, kann ein Schulwechsel die gewünschte Entlastung bringen. Schließlich haben wir für unsere Kinder eben gerade darum die verschiedenen Schularten, damit jeder wirklich entsprechend seiner Begabungen gefördert werden kann. Niemanden macht es auf Dauer glücklich, wenn er ständig überfordert ist und sich nur noch nach der Decke strecken muss – weder in der Schule noch später im Berufsleben. Aus diesem Grund regelt Paragraph 20 der Schulordnung Folgendes: In Klassenstufe 5 und 6 kann die Klassenkonferenz jeweils Empfehlungen über einen Schulwechsel zur Realschule plus aussprechen. Wird einem Schüler sowohl in Klassenstufe 5 als auch 6 die Empfehlung für die Realschule plus ausgesprochen und wird er zusätzlich am Ende der sechsten Jahrgangsstufe nicht versetzt, muss er die Schulart wechseln.

Während der Zeit in der Orientierungsstufe haben Schüler und Eltern also Zeit, sich zu orientieren. Die Klassenkonferenz gibt ihnen Entscheidungshilfen durch die Empfehlungen für eine andere Schulart und kann mühevoller Quälerei und jahrelangem Herumdümpeln in der Mittelstufe vorbeugen, indem Empfehlungen rechtzeitig und mit Bedacht ausgesprochen werden. Dabei geht es nicht um ein Stigmatisieren, wie Vertreter der Ohne-Noten-Fraktion gerne behaupten, – es geht darum, in einem gegliederten Schulsystem die Weichen richtig zu stellen: Aus einem permanent überforderten Kind kann so ein Kind werden, das sich aus eigener Kraft im Unterricht einer anderen Schulart wieder mit Erfolg einbringt und damit glücklich wird. Dafür tragen wir als Lehrkräfte innerhalb der Klassenkonferenz die Verantwortung. So wie wir beim Grenzenziehen im Umgang mit digitalen Medien unsere Kinder nicht alleine lassen dürfen, so übernehmen wir auch bei den Empfehlungen in Klasse 5 und 6 Verantwortung – es ist eine Art Notbremse, um Schülerinnen und Schülern die Chance auf ein gelingendes Leben und auf entsprechende Freiräume dazu zu eröffnen.