„Wir wünschen uns eine bessere Bildungspolitik für Rheinland-Pfalz ... – egal von wem.“

BLICK 290

Cornelia Schwartz, Landesvorsitzende

Cornelia Schwartz, Landesvorsitzende

So formulierte es Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, auf dem Gymnasialtag des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz Anfang Februar mit einem Augenzwinkern in Richtung der damaligen Ministerin Vera Reiß. Das war vor der Landtagswahl. In ihrem ersten Interview mit dem SWR Fernsehen als neue Bildungsministerin nach der Wahl gab Dr. Stefanie Hubig zu Protokoll, sie wolle das gute Bildungsniveau von Rheinland-Pfalz halten und weiterentwickeln, das bedeute unter anderem, dass man - wie bisher - „nach Leistung [fördere], egal aus welchen sozialen Verhältnissen die Kinder kommen“. Außerdem versprach die neue Ministerin, den Koalitionsvertrag umzusetzen, gerade auch in Sachen Unterrichtsversorgung. So weit, so gut.

Bessere Unterrichtsversorgung und Einstellungschancen!

Mittlerweile hat das neue Schuljahr begonnen, und der Philologenverband fordert weiterhin deutliche Nachbesserungen bei den Stellen für Gymnasiallehrkräfte an den Gymnasien des Landes. Von einer im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellten Hundertprozentversorgung sind die rheinland-pfälzische Gymnasien noch weit entfernt. In den letzten Monaten hatte der Philologenverband Rheinland-Pfalz sich verstärkt an die Öffentlichkeit gewandt und fand mit seiner Forderung, dass die Gymnasien in Rheinland-Pfalz personell nicht ausgeblutet werden dürften, in dem Artikel „Ein Berufsleben mit ungewisser Zukunft“ von Timo Frasch, FAZ, zuletzt selbst in der überregionalen Presse Gehör.

Vor und während der Sommerferien wurden intensive Gespräch mit Parteien und dem Bildungsministerium geführt. Einstiegsthema in eine zunächst konträre, aber sachliche Auseinandersetzung mit Ministerin Dr. Hubig und Staatssekretär Beckmann waren Unterrichtsversorgung und Einstellungspraxis. Rheinland-Pfalz kalkuliert bei der Unterrichtsversorgung weiterhin einen strukturellen Ausfall von ca. zwei Prozent ein, obwohl genügend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung stehen, die diesen Unterricht gerne übernehmen würden. In unserem Gespräch mit der Ministerin konnten wir konkrete anonymisierte Beispiele aus zahlreichen Hilferufen und Zuschriften von Schulen zitieren. Wie zum Beispiel sollen sich junge Vertretungskräfte mit entsprechend geringer Unterrichtspraxis angemessen vorbereiten, wenn sie erst am ersten Schultag nach den Ferien erfahren, dass sie einen Leistungskurs übernehmen sollen? Gerade unerfahrene Lehrkräfte müssten sich doch umso intensiver während der Ferien vorbereiten dürfen – das wäre eine Grundvoraussetzung für qualitativ hochwertigen Unterricht. Stattdessen herrscht während der Sommerferien für viel zu viele Lehrkräfte ohne Planstelle Unsicherheit darüber, ob es danach eventuell wenigstens mit einem Vertretungsvertrag weitergeht. In einem Kollegium wurde daher vor dem letzten Schultag für den jungen Kollegen gesammelt, bevor man ihn in die Arbeitslosigkeit verabschieden musste, weil sein Vertretungsvertrag mit dem letzten Schultag vor den Ferien auslief. Unterrichtsausfall und Lehrerarbeitslosigkeit, das können wir nur wiederholen, passen nicht zusammen: Wir brauchen auch weiterhin qualifizierte Lehrkräfte, um das Niveau an den Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen halten zu können – Unterrichtsausfall ist dabei für uns nicht akzeptabel.

Polyvalentes Lehramtsstudium!

Gleichzeitig haben wir in unserem Gespräch mit der Ministerin darauf hingewiesen, dass junge Menschen mit dem derzeitigen Lehramtsstudium mit den vielen Praxiselementen, die auf Kosten anderer (fachwissenschaftlicher) Elemente im Studium ausgeweitet wurden, quasi in eine Art Einbahnstraße geschickt werden. Unnötigerweise, muss man sagen, da eine Rückkehr zum 24-monatigen Referendariat das erforderliche pädagogisch-didaktische Rüstzeug auch nach dem Studium garantieren könnte. Aktuell sieht es allerdings so aus, dass es mit einem derart eng auf das Berufsfeld Schule zugeschnittenen Studium für Gymnasiallehrkräfte außerhalb der Schule kaum noch einen Arbeitsmarkt gibt, während gleichzeitig aber die Einstellungschancen an den Gymnasien schrumpfen. Letztlich bieten auch die Integrierten Gesamtschulen nicht genügend Arbeitsplätze für fertig ausgebildete Gymnasiallehrkräfte, selbst wenn hier die Einstellungschancen momentan noch um ein Vielfaches höher sind als am Gymnasium. Junge Lehramtsstudierende landen so fatalerweise in einer Einbahnstraße mit Sackgasse.

Ein sozial gerechtes Schulsystem!

Heftige Magenschmerzen, so unsere Rückmeldung an die Ministerin, hatte der Koalitionsvertrag in puncto Schulsystem beim Philologenverband ausgelöst. Das längere gemeinsame Lernen soll, wo vor Ort gewünscht, weiter ausgebaut werden. Um es vorweg zu sagen: Die rheinland-pfälzischen Schulen leisten großartige Arbeit. Wir sehen aber, dass mit der Gründung von immer neuen Integrierten Gesamtschulen Überkapazitäten geschaffen werden.

Selbstverständlich geben wir als Lehrkräfte alles, um unsere Schüler fit fürs Abitur zu machen. Trotzdem wird es immer auch Schülerinnen und Schüler geben, die eben andere Qualitäten vorweisen können, für die der Weg zum Abitur und Studium aber einfach der falsche wäre. Sicher belebt Konkurrenz das Geschäft – wenn aber der Wettbewerb um Schüler sowohl in den fünften Klassen als auch in der Oberstufe in den nächsten Jahren erbittert tobt, weil sonst Schulschließungen drohen, dann wird der Konkurrenzkampf zwischen den Schulen ungesund. Letztlich bleiben Lehrkräften und Schulleitungen an Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen aufgrund der Überkapazitäten von Oberstufenplätzen dann nur zwei Möglichkeiten: Sie können zusehen, wie ihre Schule bzw. Oberstufe geschlossen wird, oder sie beteiligen sich an der Bestnoteninflation, vor der auch in Deutschland immer wieder gewarnt wird, und damit an einer fatalen Niveauabsenkung, am sogenannten „race to the bottom“, nur um Schüler zu gewinnen bzw. zu halten. Das kann aber nicht in unserem Sinne als Gesellschaft und im Sinn der Abiturientinnen und Abiturienten sein. 

Das Bildungsministerium betont, man habe strenge Maßstäbe für die Errichtung einer neuen IGS – Voraussetzung sei, dass ein Drittel der Schüler gymnasiale Befähigung vorweisen könne. Es muss trotzdem erlaubt sein zu fragen, woher aber dann in den letzten Jahren all die zusätzlichen gymnasialen Schülerinnen und Schüler gekommen sind. Denn während sich die Zahl der Integrierten Gesamtschulen seit 2008 von 19 auf 55 fast verdreifacht hat, ist die Zahl der Gymnasien dabei ja nicht zurückgegangen.

Eine Umkrempelung des staatlichen Schulsystems mit dem Ziel, ein Abitur oder Fachabitur für alle zu vergeben, hätte katastrophale Auswirkungen. Sie leistet einer Überakademisierung Vorschub, wie wir sie aus den angelsächsischen Ländern kennen. Gerade soziale Unterschiede würden dann sehr deutlich hervortreten, denn bei einem Abitur für alle würde dann plötzlich wichtig werden, an welcher Schule das Abitur abgelegt wurde – an einer staatlichen Schule oder an einer teuren und exklusiven Privatschule mit entsprechendem Renommee. Diese Entwicklung kann niemand allen Ernstes wollen, am wenigsten aber eine Partei, die die soziale Gerechtigkeit im Namen trägt. Das gegliederte Schulsystem ist ein Segen für die Gesellschaft, denn es bietet Kindern aus allen Bevölkerungsschichten Chancen gemäß ihrer Begabungen und verhindert so ein Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Fazit

Es bleibt also dabei: Wir wünschen uns – wie von Josef Kraus in der Überschrift zitiert – eine bessere Bildungspolitik für Rheinland-Pfalz. Als Philologenverband bleiben wir daher mit dem Bildungsministerium und den Parteien in intensivem und kontinuierlichem Austausch. Hoffnung macht dabei ein Spruch des Konfuzius, der einmal festgestellt hat: Der Mensch, der den Berg versetzte, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen.