Enzyklopädisches Wissen

BLICK 363

Ka·pi·tu·la·ti·ve Di·dak·tik, die, -n -en                                                     

Seitenzweig der didaktischen Lehre, verstärkt anzutreffen in den Industrienationen des beginnenden 21. Jahrhunderts, vor allem im anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Raum, dem es nicht mehr vorrangig um Wissensvermittlung oder Kompetenzerwerb geht, sondern um das Verschleiern ausgebliebener oder gar verhinderter Lernprozesse. Das methodische Repertoire der K. D. reicht von utilitaristischen Erwägungen („Wozu braucht man das?“), verbunden mit der sogenannten ‚Entrümpelung‘ („Sollen wir das wirklich noch verlangen: Kopfrechnen, Übersetzen, Sach- und Fachkenntnis?“), über verdrehte Gleichheitsvorstellungen („Was nicht jeder kann, soll keiner können!“) bis hin zu nie evaluierten Evaluationsverfahren, auch unter dem Begriff „simulierte Transparenz“ bekannt, der wohl effizientesten Strategie, um verschleiernde Maßnahmen ihrerseits wirksam zu verschleiern. Bisweilen tarnt sich die K. D. auch durch Vorspiegelung eines Machbarkeitswahns, ihres exakten Gegenteils („Schule der Zukunft“). Treibende Kraft scheint die Sorge und das Bemühen zu sein, alles aus dem Weg zu räumen, woran Schüler evtl. scheitern könnten. Noch ungeklärt ist, ob es sich bei der K. D. um menschliches Versagen oder doch um bösen Willen handelt („Wenn das jeder wüsste…“). Ebenfalls zu klären ist die Frage nach der Verantwortlichkeit für diese neue Fehlentwicklung der Didaktik: Erste Ansätze kapitulativen Denkens sind bei einzelnen Theoretikern bereits Ende der Siebziger Jahre belegt, ausgelöst vermutlich durch das Scheitern allzu ehrgeiziger Bildungsprojekte. Seitdem ist die K. D. in sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, nicht nur des Erziehungswesens vorgedrungen. Ihre Anhänger finden sich unter Politikern, Journalisten, Lehrkräften, Eltern und Schülern; ihre Gegner sind noch spärlich und zaghaft, aber mindestens ebenso breit gestreut. Ob es ihnen gelingen wird, den Siegeszug der Kapitulanten aufzuhalten, ist derzeit noch nicht absehbar, somit aber auch noch zu beeinflussen.

(siehe auch: → Freizeitgesellschaft, → Kapitulative Pädagogik, → Rückbildungspolitik)