Vor hundert Jahren geboren: Sophie Scholl – eine Ikone des Widerstands gegen die Nazi-Barbarei

BLICK 348

Vor hundert Jahren, am 9. Mai 1921, wurde Sophie Scholl in Forchtenberg (Württemberg)  geboren. Sie wuchs zusammen mit vier Geschwistern im Hohenloher Land auf. Der Vater war Pazifist aus christlicher Überzeugung, ihre Mutter Diakonisse und Krankenschwester. Besonders  mit ihr gingen die Kinder regelmäßig zum Gottesdienst. Ab 1932 lebte die Familie in Ulm, wo Sophie die Oberrealschule besuchte. Wie ihre Geschwister war sie Mitglied in den NS-Jugendorganisationen, sie war dort bald Gruppenführerin und blieb Mitglied bis 1941. Konfirmiert wurde sie in der Jungmädel-Uniform. Aus ihren Tagebucheintragungen wissen wir allerdings, dass sie um diese Zeit anfing, den Konflikt zwischen der christlichen Botschaft und der NS-Ideologie zu empfinden. Eine Freundin schreibt, dass sie schon 1936 die Lügen der Nazis ablehnte.

 

1937 lernt sie Fritz Hartnagel kennen; sie ist 16 und er 20 Jahre alt und Berufssoldat. Aus der um­fangreichen Korrespondenz besonders mit ihm erhalten wir Einblick in Sophies Denken und Empfinden und auch die unterschiedlichen Meinungen der beiden etwa zu Gewalt und Krieg. „Sophie Scholl war keine Pazifistin, sondern eine radikale Kämpferin“, schreibt Robert Zoske, einer ihrer Biographen.

 

Ihre zahlreichen Briefe und ausführlichen Tagebucheintragungen ergeben eine Art Psychogramm der noch sehr jungen Frau. Sie will helfen und Gutes tun. In ihrer immer entschiedeneren Hinwendung zu Gott attestiert sie sich selbst sogar Sadismus und Liebesunfähigkeit ihrem Freund gegenüber, der von Beginn an am Krieg teilnimmt.

 

1940 legt Sophie ihre Reifeprüfung ab, danach macht sie in Ulm eine einjährige Ausbildung zur Kindergärtnerin. Immer mehr beschäftigt sie sich auch mit Jesus und der Bibel. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgesch. 5, 29), sagt sie sich, die Radikalität ihres Denkens wird immer klarer.

 

Sie beschäftigt sie sich jetzt u.a. mit den „Bekentnissen“ des Hl. Augustinus und Thomas Manns „Zauberberg“. Zu einer Art Motto wird ihr der Satz des französischen katholischen Philosophen Jacques Maritain: „Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben“. Immer wieder und immer deutlicher erkennt sie die sinnlose Grausamkeit des Krieges, als ihr Freund an der Ostfront eingesetzt ist und von dort berichtet. Besonders das Fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ beschäftigt sie. Sie zermartert sich buchstäblich in ihrem Gewissen und verzweifelt an der Ungerechtigkeit der Welt, am Grauen des Krieges und der Nazi-Diktatur. Und sie betet inständig und sucht Gottesnähe.

 

„Wie wichtig, viel wichtiger, ist es, daß wir erkennen, wozu wir berufen sind und geschaffen sind im Sinne der Ewigkeit“, schreibt sie. Es wird ihr immer klarer, dass sie etwas tun muss. Sie fühlt sich für das Grauen mitverantwortlich, weil sie so lange im NS-System mitgemacht hat, und sie weiß, dass man verantwortlich ist für das, was man tut, genauso wie für das, was man nicht tut. Sie beschäftigt sich auch mit der Frage nach dem freien Willen, mit Leibniz und der Theodizee. Im Sommersemester 1942 schreibt sie sich an der Münchner Universität als Studentin für Naturwissenschaft und Philosophie ein.

 

Im Mai 1942 bittet sie ihren Freund um 1.000 Mark für einen Vervielfältigungsapparat, und man nimmt an, dass sie damals schon von den Plänen ihres Bruders Hans und seiner Widerstandsgruppe weiß. Es werden um diese Zeit schon die ersten Flugblätter der sogenannten „Weißen Rose“ gedruckt und verteilt, der Kopf der Gruppe ist Hans Scholl. Die Flugblätter verschicken sie von weit auseinanderliegenden Adressen, um nicht erkannt zu werden. Die Gestapo bildet deswegen sehr bald eine Sonderkommission. Im November kommen die Mitglieder der Gruppe (alles Mediziner) von der dreimonatigen Feldfamulatur an der Front zurück und nehmen ihre Aktivitäten wieder auf.

 

Der Bruder einer von Sophies Freundinnen will schließlich zwei Kameraden bei einem HJ-Treffen in Ulm für eine „antihitlerische Aktion“ gewinnen und empfiehlt Sophie als Gesprächspartnerin. Er wird angezeigt. und beschattet, die Verbindung zur Familie Scholl wird offenkundig; auch aufgrund von Missverständnissen werden die jungen Leute in München nicht gewarnt. Am nächsten Morgen, dem 18. Februar 1943, legen Sophie und Hans Scholl in der Universität ein neues Flugblatt aus und werfen einen Teil der Blätter von oben in den Lichthof, die heute allgemein bekannte, verhängnisvolle Aktion.

 

Sie werden sofort festgenommen, es folgen zwei Tage strengstes Verhör, in dem Sophie und ihr Bruder zunächst alles auf sich nehmen wollen, was allerdings nicht gelingt. Dann der kurze Schauprozess, für den der Blutrichter des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, aus Berlin anreist. Sophie und Hans und dann auch der Dritte der Gruppe, Christoph Probst, werden zum Tod verur­teilt, danach noch drei weitere Mitglieder (Alexander Schmorell, Willi Graf und Prof. Kurt Hu­ber). Sophie, ihr Bruder und Probst werden am 22. Februar mit der Guillotine hingerichtet. Elf weitere Bekannte aus dem weiteren Kreis der Widerstandsgruppe werden im Lauf des Jahres

1943 zu teilweise sehr langen Haftstrafen verurteilt.

 

Sophie betont im Verhör und später immer wieder, dass sie bei der Ablehnung des Nazi-Regimes bleibe, und tröstet sogar ihre Mutter noch kurz vor der Hinrichtung; eine Mitgefangene berichtet mit Bewunderung von der Ruhe und äußeren Gelassenheit der jungen Frau. Selbst der Scharfrich­ter ist erstaunt von der kindlich-festen Bereitschaft Sophies vor dem Fallbeil. Ihr Bruder soll vor der Hinrichtung noch gesagt haben: „Es lebe die Freiheit!“

 

Sophie und die Mitglieder der „Weißen Rose“ sind inzwischen mit Recht Ikonen des Widerstands gegen den Krieg und die Nazi-Barbarei. Die insgesamt rund 200 Schulen und Institutionen, die ihren Namen tragen, können das mit großem Stolz tun.