Entscheidungskriterium Menschenbild

BLICK 286

Foto: Bernd Werner

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Die Bildungspolitik spiegelt oft das Menschenbild der jeweiligen Landesregierung wider. Welchem Menschenbild nun die Leitung des Bildungsministeriums in der Vergangenheit als politische Leitbild folgte, wurde aus einigen Einzelmaßnahmen der Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz leicht und gut ersichtlich. 

Zunächst ist da der vor Jahren im Kontext der Änderung der Schulstruktur gefasste Entschluss, in Rheinland-Pfalz die Hauptschule aufzulösen. Die mittelbare Folge für die Gymnasien: Die Orientierungsstufen vieler Gymnasien sind derzeit stärker denn je von einer im Leistungsvermögen sehr heterogenen Schülerschaft geprägt. Zeitlich parallel zur Abschaffung der Hauptschule – und das dürfte kein Zufall sein – ist die Zahl der Integrierten Gesamtschulen in den letzten Jahren in Rheinland-Pfalz auf derzeit 55 (Stand Januar 2016) angestiegen. Gleichzeitig nahmen die Anmeldezahlen an den Orientierungsstufen vieler Gymnasien quantitativ deutlich zu. Übergangsquoten von deutlich über sechzig Prozent ans Gymnasium sind derzeit keine Seltenheit mehr. Wenn aber dieser vermehrte Gang von leistungsmäßig häufig überforderten Kindern ins Gymnasium ungebremst weitergeht, wenn also die jetzige Entwicklung anhält, ist, so die oft geäußerte Befürchtung, die Errichtung der »Realschule plus« im Kontext der Schulstrukturreform lediglich ein Zwischenstadium, – und wir werden womöglich in geraumer Zeit in Rheinland-Pfalz nur noch Gymnasien und IGSen nebeneinander haben – oder gar nur noch eine Einheitsschule.

Dies wirft auch die Frage auf, wie die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler gefördert werden sollen, – auch, um diese an den Gymnasien zu halten und nicht etwa an exklusive Privatschulen zu verlieren. Diese Frage führt unmittelbar zu einem anderen, aktuellen Beispiel aus der jüngsten Bildungspolitik von Rheinland-Pfalz: der Reform der Lehrerausbildung. Im Prinzip ist ja das Anliegen, Lehramtsstudenten besser auf den Schulalltag vorzubereiten, sinnvoll und richtig. Nur leistet die aktuelle Reform der Lehrerbildung gerade dies nicht. Weder in der Ersten Phase an den Universitäten noch in der Zweiten Phase im Referendariat, das in Rheinland-Pfalz als »VD 18« oder »VD Gym« firmiert, werden die Lehramtskandidaten derzeit so ausgebildet, wie wir im Philologenverband uns das wünschen. Bereits der geplante Einstieg in das Referendariat ist verfehlt, denn er setzt alle Betroffenen von Anbeginn unter Zeitdruck. Die Referendarinnen und Referendare werden sofort im Unterricht ihrer Ausbildungsschulen eingesetzt, diesem aber gleichzeitig auch wieder entzogen. Denn einerseits müssen Referendare ihrer – nochmals erhöhten – Unterrichtsverpflichtung nachkommen und zudem vom ersten Tag des Referendariats an eigenverantwortlich unterrichten. Zugleich aber sind die Referendarinnen und Referendare zu Beginn ihrer Ausbildung in einer sogenannten »Intensivphase« in ihren Studienseminaren, so dass sie ihren Ausbildungsschulen beim Ausbildungsbeginn gleich entzogen werden. Die unmittelbare Folge für den Schulalltag ist: Unterrichtsausfall – und zwar am Schuljahresbeginn oder zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres. Das trifft Schüler, Eltern, Lehrer zugleich – aber auch die Referendare selbst. Gleichzeitig sollen aber wir Lehrerinnen und Lehrer – so die (nicht neue) Forderung auch in den neusten Lehrplänen – unsere Schülerinnen und Schüler gezielt zu kritischen und reflektierten Persönlichkeiten sich entwickeln lassen. Dazu benötigen wir aber in den Schulen auch entsprechende Lehrerpersönlichkeiten. In beiden Phasen ihrer Ausbildung erleben jedoch heutige Lehramtsstudenten ein zeitlich hektisches Erfüllen von formalen Anforderungen, die wichtige Zeit für einen qualitativen guten Reifeprozess rauben. Was bräuchten angehende Lehrer? Vor allem: Mehr Zeit. Und zwar auch dafür, sich selbstreflektierend weiterentwickeln zu können – und zwar in Studium und Referendariat. Nur sich selbst reflektierende Lehrer können auch Schüler zum Reflektieren anhalten. Aber genau das, die Förderung von Lehrerpersönlichkeiten mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion, verhindert der »VD 18/Gym«. Die Frage, von welchem Menschen- bzw. Gesellschaftsbild die Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren bestimmt wurde, kann jeder sich selbst leicht beantworten: Von einer pluralistisch geprägten Vorstellung einer Gesellschaft unterschiedlicher Individuen – oder eher von gleichmacherischen Vereinheitlichungsbestrebungen, die im Hau-Ruck Verfahren auch gegen Einwände von Praktikerseite durchgesetzt werden. 

Welche Partei auch immer in Zukunft das Bildungsministerium leiten wird: Der Philologenverband wird auch zukünftig darauf achten, nach welchem Menschenbild die Bildungspolitik gestaltet werden wird, und entsprechend handeln.