Expertenprediger IV oder Nachtrag: Keine Festlegung auf das männliche Geschlecht

BLICK 338

Foto: Jochen Ring

Nachdem der von Caspar Hirschi (FAZ vom 02.01.19) stammende Begriff des Expertenpredigers in der Ausgabe Nr. 319 unserer Verbandszeitung auf bildungspolitische Sachverhalte angewendet und der ihm entsprechende Personenkreis in Folge eines Leserbriefs in Nr. 322 ausgeweitet und in Nr. 330 detailliert exemplifiziert worden ist, soll nun der aus der Leserinnenschaft an mich herangetragene Wunsch, einer Expertenpredigerin die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, erfüllt werden. Ein Interview in den „Kieler Nachrichten“ vom 31.05.2019 bietet mir die Gelegenheit, dem Ziel der Geschlechterparität etwas näher zu kommen.

 

Rückblick

 

Zur Erinnerung: Als „Expertenprediger“ im bildungspolitischen Kontext wurden in der Ausgabe Nr. 319 solche Personen definiert, denen aufgrund wenig transparenter Umstände im gesellschaftlich-medialen Diskurs ein Expertenstatus zugewiesen wurde, „Intellektuelle“ mithin, die diesen Status marktstrategisch durch Publikationen sowie Vortragstätigkeit ausbauen können, die die bildungspolitisch interessierte Öffentlichkeit von der Notwendigkeit „disruptiver Innovationen“ im pädagogischen Bereich zu überzeugen versuchen und dabei einem überraschenden Schwarz-Weiß-Schema verfallen.

 

Die genannten Kriterien lassen sich – um nun tatsächlich ein Mehr an Geschlechtergerechtigkeit herzustellen – auf eine gefragte Referentin beziehen, die zu erleben ich Gelegenheit hatte bei einem der rheinland-pfälzischen Gespräche zur Pädagogik, das vor einigen Jahren in Koblenz stattfand, und zwar auf Margret Rasfeld. Für mich besteht dabei überhaupt kein Anlass, die Verdienste der ehemaligen und durchaus sympathischen Leiterin einer Berliner Privatschule zu schmälern. Diese gibt es unbestritten! Nicht zuletzt den enorm hohen Ansprüchen derjenigen Klientel gerecht zu werden, die sich gezielt eine solche Bildungseinrichtung für den hoffnungsvollen Nachwuchs auswählt, bedeutet eine Herausforderung ganz eigener Art, die genauso bewältigt werden will wie die Situation an der Berliner Rütli- oder der Bergius-Schule (zu letzterer und ihrem Schulleiter – alles andere als ein Expertenprediger – siehe Blick, Nr. 318). Rasfeld hat die Aufgabe, die ihr gestellt wurde – das ist anzuerkennen – erfolgreich gemeistert, indem sie bei ihren Schützlingen, die aus den ambitionierten Elternhäusern eher des gehobenen Bürgertums entstammen, die Zügel der Disziplin nicht allzu straff anzog, einen Schwerpunkt auf das soziale Lernen legte und mit allerlei Projekten, in denen es um „Frieden“, „Klima“ und „Nachhaltigkeit“ ging, das Pädagogenherz so hoch hüpfen ließ, dass ihr ausweislich der biographischen Angaben der „Kieler Nachrichten“ unter anderem der „Vision-Award“ und der „Querdenker-Award“ verliehen wurde.

 

Pädagogisch allwissend

 

Wenn sich die Frequenz der Zuteilung entsprechender Ehren im Laufe des Lebens ab einem gewissen Zeitpunkt ganz besonders signifikant erhöht, dürfte sich das positiv auf das Selbstbewusstein des bzw. der nunmehr Etablierten und negativ auf die Häufigkeit von Selbstzweifeln, die uns weniger Arrivierte dann und wann überkommen, auswirken. In diesem Sinne und mit diesem Selbstbewusstsein bekennt Rasfeld, dass sie „ein ziemlich gutes Gespür für den Geist entwickelt [hat], der an einer Schule herrscht.“ Keine Rede von subjektiven Vorlieben, eigenen sozialisierungsbedingten Präferenzen und Empfindlichkeiten – hier spricht eine Person, die in pädagogischer Hinsicht genau weiß, was gut und richtig bzw. schlecht und falsch ist.

 

Gern liefert Rasfeld uns auch Beispiele, zum einen für das Schlechte: „Wenn zum Beispiel alle Klassentüren zu sind, Kinder in Pausen hektisch hinausstürmen oder Frontalunterricht überwiegt, würde mich das abschrecken“; zum anderen für das Leuchtende und Reine, das in einer Bildungseinrichtung unter anderem dadurch hervortrete, „dass Lehrer sich herunterbeugen oder sogar in die Knie gehen, um mit Kindern auf Augenhöhe zu sprechen.“ Heilsgewissheit ist der Ex-Leiterin einer evangelischen Schule in Berlin nicht nur in Bezug auf die letzten, sondern auch auf die vorletzten Dinge, hier die Fragen des Lehrens und Lernens, gegeben. Pädagogisch nicht gerechtfertigt sind daher Lehrer, „wenn sie zu Anfang der Stunde schon das Tafelbild im Kopf haben“, denn, so der scharfe Vorwurf gegenüber allen, die es anders machen: „Wie sollen Schüler eigene Fragen stellen, wenn sie immer nur Antworten auf fremde Fragen geben sollen?“ Wer kann den Weisheiten, die in solchen rhetorischen Fragen stecken, widersprechen?

 

Schwarz-Weiß-Denken

 

Nicht nur in derartigen Suggestionen, auch in einem mit Blick auf die Antike geradezu gnostisch anmutenden Schwarz-Weiß-Denken drückt sich das Expertenpredigertum Rasfelds aus, dabei lässt sie das zu Verdammende als noch verdammenswerter erscheinen, als es ohnehin schon ist. Dies geschieht durch die Wiederbelebung von Feindbildern, deren Entsprechung in der Realität so zwar nicht mehr anzutreffen ist, deren Beschwörung das eigene Erwähltsein, die Prädestiniertheit für das Pädagogen-Elysium aber umso strahlender darstellt. Das zu bekämpfende Böse jedoch verbirgt sich im „tradierten Schulsystem[...]“, das, von Rasfeld mit eindeutigen Attributen versehen, einer gnadenlosen Verurteilung anheimfällt: „Wissen bis zur nächsten Klassenarbeit in sich hineinstopfen und dann wieder ausspucken, das bringt gar nichts. Leider ist der alte Geist des tradierten Schulsystems noch lebendig, der sich schon seit Jahrhunderten aus zwei Quellen speist: die [sic!] Belehrungshaltung der Kirche sowie der Gleichschritt-marsch-Mentalität des Militärs.“ Noch drastischer konnten die Worte wohl nicht gewählt werden!

 

Feindbilder

 

Brechen wir an dieser Stelle die Analyse eines erhellenden Interviews mit einer Expertenpredigerin ab und halten wir fest: Pädagogisches Expertenpredigertum ist nicht notwendig männlich, es schafft sich seine Feindbilder durch maßlose Übertreibungen sowie die Betonung von Schwarz-Weiß-Schemata und verkündet, so der Anspruch, allein-seligmachende Bildungsideologien, jenseits von deren Lösungen kein pädagogisches Heil gefunden werden könne. Ein liberaler Bildungsdiskurs, wie wir als Philologen ihn dagegen anstreben, leugnet nicht die Erfolge bestimmter Reformansätze und der ihnen folgenden Schulen, setzt sie jedoch immer in eine Relation zu den ihnen jeweils gewährten Ressourcen, verliert die Komplexität pädagogischer Prozesse und Situationen nicht aus dem Blick, misstraut daher pädagogischen Patentlösungen und plädiert für eine Heterogenität von Bildungstheorien und Methoden, die das Bewährte nicht von vornherein deshalb aus dem Bereich des Bedenkenswerten ausschließt, weil es als Bewährtes nicht den Charakter des Progressiven und Innovativen beansprucht.

 

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