Landeselterntag 2018: Mehr Muße in der Schule und mehr Zeit fürs Kerngeschäft

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Foto: Cornelia Schwartz

„Stressgemeinschaft Schule?“

So lautete der Titel des diesjährigen Landeselterntages, der am 21. April am Hannah-Arendt-Gymnasium in Haßloch stattfand. Mit dem Thema Schulstress hatte der Landeselternbeirat den Nerv getroffen: Trotz strahlenden Sommerwetters war die Veranstaltung gut besucht. Die alles beherrschende Frage: Wie lässt sich Stress abbauen – für Schüler/-innen, Eltern und Lehrkräfte? Die Ideen hierzu waren vielfältig.

 

Stress durch permanente Erreichbarkeit? Einfach mal abschalten …

Gleich zu Beginn der Veranstaltung fokussierte Dr. Alexander Jatzko, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik im Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern, in seinem Vortrag auf unseren Umgang mit dem Smartphone: Wie eine Droge aktiviere das Smartphone das Belohnungssystem im Gehirn und verleite dazu, ständig andere Aktivitäten zu unterbrechen, um mal eben zu checken, ob Nachrichten angekommen seien. Dadurch, so die wissenschaftliche Erkenntnis, verringert sich die Konzentration, und das Entstehen eines Flow beim Arbeiten wird verhindert, da Konzentrationsphasen ohne den Blick aufs Handy viel zu kurz sind, um in einen solchen Flow zu kommen.

 

Der Druck, rund um die Uhr erreichbar zu sein, bewegt laut Jatzko 60 % der Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren dazu, ihr Smartphone nachts eingeschaltet neben das Bett zu legen – um ja nichts zu verpassen. Entsprechend stellt Jatzko in seiner Klinikarbeit vermehrt Konzentrations- und Schlafstörungen auch bei Kindern und Jugendlichen fest. Sein Aufruf wandte sich allerdings in erster Linie an die Elterngeneration: Wer dem eigenen Kind vorlebe, dass das Handy immer Vorrang habe, dürfe sich nicht wundern, wenn das Kind lerne, dass das Smartphone wichtiger sei als alles andere. Ausschalten, so könnte man die Quintessenz des Vortrags formulieren, ist eine Schlüsselkompetenz im Umgang mit digitalen Medien.

 

Mit auf dem Podium: Lehrkräfte durch Philologenverband vertreten

Am Nachmittag diskutierten Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig, der Psychologe Dr. Alexander Jatzko, Markus Meier als stellvertretender Vorsitzender des Landeselternbeirats, Lucia Berres von der LandesschülerInnenvertretung und ich als Vertreterin der Lehrkräfte auf dem Podium. Moderiert wurde die Runde durch den Vorsitzenden des Landeselternbeirats, Dr. Thorsten Ralle. Gemeinsam mit dem Hausherrn, OStD Klaus Strempel, dem Schulleiter des Hannah-Arendt-Gymnasiums, begrüßte er die zahlreichen Gäste.

 

Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig versicherte, sie nehme das Thema Stress in Bezug auf Schüler/-innen und Lehrkräfte sehr ernst. So beteiligten sich rheinland-pfälzische Schulen am Programm MindMatters der Universität Lüneburg. Hier gehe es darum, Schule so zu gestalten, dass es Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften psychisch gutgehe. Nicht zuletzt habe Rheinland-Pfalz außerdem ein eigenes Institut für Lehrergesundheit. Mit Blick auf die ständig steigende Zahl an immer neuen Aufgaben versprach sie: „Wenn zusätzliche Aufgaben kommen, dann gibt es dafür auch Entlastung in Form von Anrechnungsstunden.“ Gleichzeitig allerdings wies die Ministerin auf die hohe Berufszufriedenheit unter Lehrkräften hin.

 

Der Philologenverband war hier zur Stelle, um dem sich abzeichnenden Missverständnis (nach dem Motto „so schlimm kann’s dann wohl nicht sein“) vorzubeugen: Ja, der Beruf des Lehrers/der Lehrerin ist einer der schönsten, weil man täglich mit jungen Menschen arbeitet, ihnen Wissen und Fertigkeiten vermitteln und sie auf dem Weg ins Erwachsenwerden begleiten darf. Damit ist er allerdings gleichzeitig einer der herausforderndsten und anstrengendsten, gerade weil man tagtäglich mit jungen Menschen arbeitet, ihnen Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch Reibungsfläche bietet.

 

Weniger Deputat und mehr Zeit fürs Kerngeschäft

Der Landeselternbeirat legte unterstützend nach, und als Landeselternsprecher und Nicht-Lehrer forderte Dr. Ralle (ganz im Sinne des Philologenverbandes) deutlich weniger Deputat für Lehrkräfte. Seine Begründung: Wenn der Dienstherr es ernst meine mit Verbesserungen in der Schule, müsse er die Möglichkeiten schaffen, Unterricht auch entsprechend vorzubereiten. Unterricht sei schließlich Kerngeschäft der Lehrerinnen und Lehrer.

 

Noten: Stressen sie und müssen weg?

Die LandesschülerInnenvertretung will Noten abschaffen. Die Idee ist nicht neu und wird beileibe nicht von allen Schülerinnen und Schülern unterstützt. Als Vertreterin des Philologenverbandes habe ich mich für eine Beibehaltung von Noten ausgesprochen: Es ist letztlich eine Frage, wie wir mit Noten umgehen. Als Lehrkräfte „knallen“ wir schlechte Noten nicht „hin“, sondern begleiten die Rückgabe nach Möglichkeit mit einer persönlichen mündlichen Erläuterung, mit einer Ermutigung oder dem Versprechen, gemeinsam nach einer guten Lösung zu suchen. Wichtig dabei ist, dass wir als Eltern und Lehrkräfte Kinder nicht auf ihre Leistungen reduzieren, sondern sie als Menschen schätzen.

 

Gleichwohl brauchen wir Noten als Indikatoren, als Hinweis darauf, ob etwas gut läuft oder schlecht, und zwar sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Lehrkräfte. Muss ich als Lehrkraft die Lernmethode anpassen, etwas noch einmal anders erklären, den Unterricht überdenken? Sind die Anforderungen für den Schüler/die Schülerin zu hoch, passt die Schule zum Schüler/zur Schülerin oder wird er/sie an einer anderen Schulart glücklicher? Liegt schlechtes Abschneiden an der Einstellung zum Lernen, an privaten Problemen? Dies alles sind Fragen, die sich Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern immer wieder stellen müssen.

 

Aus Sicht des Psychologen: Nicht in Watte packen

An dieser Stelle wagte die LandesschülerInnenvertretung einen interessanten argumentativen Vorstoß: Noten, so Lucia Berres, solle man abschaffen, da nicht nur schlechte Noten, wie ich behauptet hatte, ungute Gefühle erzeugten, sondern gerade auch sehr gute Noten den Leistungsdruck immer weiter verstärkten, und gute Schülerinnen und Schüler schon bei „nur“ 12 oder 13 Punkten regelmäßig das Gefühl des Versagens quäle.

 

Psychologe Dr. Jatzko widersprach hier energisch: Man könne nun bei 12 oder 13 Punkten beim besten Willen nicht von Versagen sprechen, und es helfe unseren Kindern nicht, wenn wir sie so lange wie möglich in Watte packten. Es sei weltfremd, ein Kind vor 12 oder 13 Punkten behüten zu wollen, während in der realen Welt da draußen Menschen mit weit größeren Katastrophen, etwa dem Tod eines geliebten Menschen, zurechtkommen müssten. Die Erfahrung des Scheiterns/des Verlustes und die Möglichkeit, mit den eigenen Gefühlen umgehen zu können, seien für das Erwachsenwerden unverzichtbar.

 

Der Koffer mit den Goldstücken …

Natürlich erscheint es auf den ersten Blick attraktiv, ein selbstbestimmtes, von Zwängen völlig freies Leben zu führen – so wie Pippi Langstrumpf: die Welt und das Einmaleins so zu machen, wie es einem gefällt, keine Noten zu bekommen und sich nicht im Geringsten an die Erwachsenenwelt anpassen zu müssen.

 

Eine wichtige Voraussetzung allerdings sollten Eltern, die sich für diese Art der „Freiheit“ begeistern und eine Schule ohne Noten fordern, ihren Kindern mitgeben: den Koffer mit dem unerschöpflichen Vorrat an Goldstücken, den Pippi Langstrumpf nun mal hat. Für die anderen ohne Goldkoffer heißt es letztlich dann doch, in einer immer stärker auf Konkurrenz getrimmten Welt später einmal einen Arbeitsplatz zu bekommen und den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Für sie wäre der Verzicht auf Noten Augenwischerei, die sie später teuer bezahlen müssten.

 

Fazit: Mehr Muße

Stress in der Schule ist ein äußerst vielfältiges Thema, und wir dürfen es weder für Schülerinnen und Schüler (und damit auch für Eltern) noch für Lehrkräfte vernachlässigen. Ein kleiner Schritt hin zu mehr Muße, denn nichts anderes heißt Schule, wäre gut: Smartphones regelmäßig und konsequent abschalten, das eigene Glück nicht zu sehr vom jeweiligen Schulabschluss abhängig machen und mehr Zeit zur Unterrichtsvorbereitung für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte. Diese Muße fordern wir als Philologenverband Rheinland-Pfalz gemeinsam mit dem Landeselternbeirat, dem wir an dieser Stelle Dank sagen für eine gelungene und wichtige Veranstaltung.