Wie ‚Corona’ die strukturellen Schwächen der Lehrkräftebildung weiter verschärft - Ein Streiflicht auf die aktuelle Situation und die Befunde der Evaluation der Lehrkräfteausbildung vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Robert Tophofen

Foto: Robert Tophofen

In Krisenzeiten lässt sich vieles nicht mehr hinbiegen, was im Alltag mit Abstrichen mitunter noch zu bewältigen scheint. So stellen die Verdichtung im Vorbereitungsdienst (VD) plus die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie die Fachleiterinnen und Fachleiter sowie die Referendarinnen und Referendare derzeit vor schier unlösbare Aufgaben.

 

Seit der Reform 2012 muss in 18 Monaten die gleiche Anzahl an Unterrichtsbesuchen/Lehrproben absolviert werden wie zuvor in 24 Monaten. Der hieraus resultierte terminliche und psychische Druck belastet die Ausbildung massiv. Die Referendare müssen in kürzester Zeit von Lerngruppe zu Lerngruppe springen und kommen oft nicht einmal dazu, eine angefangene Unterrichtsreihe abzuschließen. Durch die Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie werden die Alltagszwänge weiter verschärft, und so offenbart sich die Struktur des VD-Gym immer mehr als brüchiges Kartenhaus.

 

Coronabedingte Änderungen in der Ausbildung

 

So müssen die institutionalisierten Beratungsgespräche geführt werden, obwohl man mitunter die Referendarinnen und Referendare überhaupt nicht im Unterricht gesehen hat. Besonders gravierend ist dies bei denjenigen, die zum 15. Januar 2020 begonnen haben. Statt praktischen Unterricht zu zeigen, müssen schriftliche Ausarbeitungen von Unterrichtsstunden vorgelegt werden. Auch die Prüfungslehrproben müssen ersetzt werden durch die Darlegung einer Unterrichtsstunde, über die dann ein 45-minütiges Kolloquium geführt wird. Das Zertifikat über die Zusatzausbildung im bilingualen Unterricht wird vergeben, ohne dass die Referendarinnen und Referendare auch nur eine Stunde gezeigt haben.

 

Verdichtung der Ausbildung als Grundproblem

 

All diese Maßnahmen sind unausweichlich, damit die Krise nicht zu Lasten der Referendarinnen und Referendare geht. Aber – sie sind auch wesentlich der Verkürzung des Referendariats geschuldet. Natürlich hätten wir die Einschränkungen auch bei 24 Monaten, jedoch es bliebe dann mehr Zeit, um etwa den Verlust an Ausbildungsunterricht aufzufangen. Die Verdichtung im Vorbereitungsdienst ist zu stark und sie verträgt keine Erschütterungen, das zeigt uns die Corona-Pandemie.

 

Studie zur Evaluation der Lehrkräfteausbildung in RLP

 

Die Strukturen im VD muss das Bildungsministerium (BM) auf den Prüfstand stellen und verändern. Dass Handlungsbedarf besteht, dokumentiert sogar die vom Land in Auftrag gegebene Evaluation der Lehrkräfteausbildung, die so genannte Imhof-Studie, auf deren Abschlussbericht sich die Seitenzahlen beziehen. Unserer Verbandsforderung nach strukturellen Veränderungen ist das Land immer entgegengetreten mit der Aussage, dass man erst die Befunde aus dieser Evaluation abwarten wolle. Seit Ende März liegen diese vor.

 

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf die vielfältigen Aussagen, aber auch Schwächen dieser lehramtsübergreifenden Studie eingehen, sondern lediglich kurz die Punkte streifen, die obige Forderung nach Verlängerung des Referendariats unterstützen.

 

Gymnasiale Lehrerbildung sticht heraus

 

Zwei Befunde sind eindeutig: Die gymnasiale Lehrerbildung mit ihren Anforderungen ist deutlich anders als die anderer Lehrämter, und mangelnde Zeit im VD bildet die Ursache für viele Kritikpunkte im Detail.

 

Gymnasiale Referendare erleben die Belastung als deutlich höher im Vergleich zu den übrigen Anwärtern (vgl. S. 58). Es wird mehr Zeit gewünscht, um „künftig noch mehr Situationen aus dem Unterricht aufzugreifen und aus theoretischer Perspektive zu analysieren“ (S. 56). Das bedeutet eine Stärkung der Fachseminare, deren Anzahl im Zuge der Reform massiv beschränkt worden ist zugunsten der allgemeinpädagogischen Seminare der Berufspraxis. Auch wird mehr Raum für gemeinsame Praxisreflexion und Austausch in den Sitzungen gefordert (vgl. S. 86). Das alles geht nur über eine Anhebung der Dauer des VD.

 

Gymnasiale Referendare sind stärker belastet als andere

 

Alarmierend ist noch der Befund, dass die gymnasialen Referendare die geringste „Autonomieunterstützung“ anzeigen. Sie haben „am wenigsten das Gefühl, dass sie sich ihre Zeit selbst einteilen können, ihre Aufgaben auf ihre Art erledigen können und die Gelegenheit haben, sich mit interessanten Inhalten intensiver zu beschäftigen“ (S. 87). Um eine gute Lehrkraft werden zu können, braucht es Zeit für Reflexion und vielfältige Erprobung, was die eng getaktete Struktur nicht gewährleistet. Da die gymnasialen Referendare überdies den höchsten „Fachenthusiasmus“ aller Lehrämter bezeugen (S. 85), wächst hier ein gefährlicher Nährboden an für Erschöpfung bis hin zum Burnout.

 

Verlängerung des Referendariats unausweichlich

 

Das BM muss handeln! Die Corona-Krise ist nur der Lackmustest für die grundlegend falschen Weichenstellungen der Vergangenheit. Im gegenwärtigen zeitlichen Korsett kann es nicht weitergehen, zumal das BM schon mitgeteilt hat, dass sowohl die Vorbereitungsveranstaltung als auch die Orientierenden und Vertiefenden Praktika im Herbst 2020 ausschließlich in digitaler Form durchgeführt werden. Dabei ist die wenige Praxiserfahrung vor der Klasse in den vier Praktika immer instrumentalisiert worden als Rechtfertigung für die Kürzung des gymnasialen Referendariats um sechs Monate.

 

Ein Gutes hat die augenblickliche Situation dann doch noch. Aufgrund der Probleme mit Betreuung und Fernunterricht ist den Eltern und weiten Teilen der Gesellschaft ins Bewusstsein gerückt, was wir schon immer gesagt haben, nämlich dass es auf die Lehrkraft ankommt. Können wir es uns daher leisten, nicht alles zu tun, um die Referendarinnen und Referendare bestmöglich zu bilden?