Zur Diskussion um die Einführung eines neuen Faches „Wirtschaft“ - „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Die Forderung nach neuen Schulfächern

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Foto: Cornelia Schwartz

Ein Blick in die lange Tradition von Forderungen nach neuen Fächern

 

„Glück“, „Steuererklärung, Mietvertrag, Versicherungen“, „gesunde Ernährung“, „Alltagskompetenz“, „Klimaschutz“ … Die Liste an sträflich vernachlässigten und dringend neu einzuführenden Fächern ist lang – diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man die Berichterstattung in den Medien aufmerksam verfolgt. Ein bisschen fühlt man sich gelegentlich wie die Hauptperson im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Die Déjà-vu-Erlebnisse bei der Diskussion um neue Fächer reihen sich eng aneinander.

 

Keine Frage: Wichtig sind die oben genannten Themen alle. Wahrscheinlich deshalb sind die meisten von ihnen auch schon in den Lehrplänen angekommen, so zum Beispiel „Ernährung“ in Biologie und Sport; „Alltagskompetenzen“ wie Prozentrechnen etc. finden sich selbstverständlich im Mathematik-Lehrplan; „Umweltschutz“ bzw. „Klimaschutz“ spielen unter anderem in den Gesellschafts- und auch in den Naturwissenschaften eine Rolle.

 

Das Problem dieser neuen Fächer ist in vielen Fällen das gleiche: Eigentlich sind sie schon als Einzel- oder Querschnittsthema Teil des bestehenden Curriculums. Das Thema soll durch die Aufwertung zum Einzelfach lediglich höheres Gewicht erfahren. Allerdings: Während eine Verankerung in mehreren Fächern bewirkt, dass ein Thema tatsächlich von mehreren Seiten und von den unterschiedlichsten Lehrkräften beleuchtet werden kann, erfährt es mit der Umwandlung in ein eigenes Fach möglicherweise nicht die gewünschte Vertiefung, sondern vielleicht sogar eine Verengung der Perspektive.

 

OeBiX: Die deutsche Studie zur Wirtschaft in der Schule

 

Aktuell nach oben gespült in der Diskussion um die Einführung neuer Fächer wird in Deutschland gerade wieder einmal das Fach „Wirtschaft“. Der Anlass: Die neue Landesregierung und das FPD-geführte Bildungsministerium in Nordrhein-Westfalen setzen neue Akzente, und so hat das Fach „Wirtschaft/Politik“ seit dem Schuljahr 2020/2021 begonnen, das bisher dort gelehrte Fach zu ersetzen. Wie gerufen kommt dann auch die passende Studie: Mitte Mai 2021, kurz vor den Pfingstferien, förderte es die OeBiX-Studie des Instituts für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg zutage: Es steht schlimm um die Vermittlung rudimentärer Grundkenntnisse im Bereich Wirtschaft an deutschen Schulen! Ganz besonders schwach ausgeprägt ist die Vermittlung wirtschaftlicher Kenntnisse bei rheinland-pfälzischen Jugendlichen.

 

Wie immer stellt sich die Frage: Wie aussagekräftig ist die Studie? Auch PISA bescheinigte uns ja kürzlich, deutsche Schüler könnten Meinungen und Fakten nicht auseinanderhalten – ein Blick in den Aufgabenkatalog aber zeigte, dass die Aufgaben schlecht formuliert waren, was wir in einer Pressemitteilung dann auch klarstellten. Die Methodik der OeBiX-Studie erspart sich das Testen gleich ganz und wertet hauptsächlich die schulischen Lehrpläne der einzelnen Bundesländer aus.

 

Neues Schulfach oder stärkere Verankerung im bisherigen Kanon?

 

Neben der Frage nach der Aussagekraft von Studien bleibt die Überlegung: Muss es wirklich ein neues Schulfach „Wirtschaft“ geben? In Rheinland-Pfalz verortet die Richtlinie „Ökonomische Bildung“ ihr Sujet „in allen Fächern der Sekundarstufe am Gymnasium“. Vielleicht ist das etwas zu weit gefasst, aber eine Verankerung in den bereits existierenden Fächern sehen wir weiterhin – und dies trotz der OeBiX-Studie – als Königsweg.

 

Die rheinland-pfälzischen Richtlinien und Handreichungen zur „Ökonomischen Bildung“ erscheinen dem Leser durchaus realistisch; man fragt sich allerdings, was wir als Lehrkräfte noch alles bei der Planung des Unterrichts berücksichtigen sollen. Warum haben die durchaus sinnvollen Hinweise nicht stärker Eingang in die Lehrpläne der Fächer gefunden? Schulbuchverlage hätten beim Erstellen der Schulbücher konkrete Anhaltspunkte dafür, worauf sie Wert legen sollen, und Lehrkräfte hätten auf einen Blick (möglichst übersichtlich und in knapper Form) alles, was sie zum Unterrichten brauchen – in den Lehrplänen und, besser noch, in den Schulbüchern.

 

„Wirtschaft“ steckt tatsächlich schon in vielen Schulfächern, nicht nur in der Sozialkunde, Geschichte oder Erdkunde. Es wäre ein großer Verlust, wenn man etwa die wirtschaftlichen Alltagsbezüge, die im Schulfach Mathematik angelegt sind, ignorieren und aus dieser Unkenntnis heraus das Schulfach „Wirtschaft“ aus der Taufe heben würde. Mit Textaufgaben aus alltagsnahen Bereichen lassen sich, so zumindest die Erfahrung in meinem Unterricht, viele Schülerinnen und Schüler ansprechen.

 

Der Grundirrtum: Schule bilde fertige Menschen aus

 

Gelegentlich überschlagen sich die Kommentatoren mancher Medien geradezu, und nicht selten gewinnt man den Eindruck, die gesamte Schulbürokratie habe die Einführung der allernotwendigsten Fächer schlicht verschlafen, während Schülerinnen und Schüler von den alten, verstaubten Fächern zu Tode gelangweilt werden. Ein Tweet einer Schülerin am 10. Januar 2015 löste eine große Welle an unterschiedlichsten Emotionen aus. In ihrem Twitter-Kanal „@nainablabla“ schrieb die damals 17-jährige Schülerin Naina: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse [sic] schreiben. In 4 Sprachen.“

 

Naina, mittlerweile „Social Media Managerin“, hat sich, vielleicht aufgrund der Versäumnisse im Lehrplan, letztlich wohl doch gegen ein Jurastudium mit Schwerpunkt Steuerrecht, gegen eine Karriere als Finanzbeamtin oder als Versicherungsmaklerin entschieden. Man darf aber vermuten, dass sie Steuern zahlt, sich vielleicht eine eigene Wohnung gemietet und zumindest eine Kranken-, vielleicht sogar eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Wie ist ihr das gelungen? So ganz ohne schulische Vorkenntnisse in diesen Bereichen!

 

Ein Riesenvorteil: Schule unterrichtet Denken

 

Vielleicht hat sie einfach jemanden gefragt – getreu dem Microsoft-Rat „Fragen Sie einen Freund“, der bei Computerproblemen immer mal wieder auf dem Bildschirm erschien und der wohl schon unzählige Computer davor bewahrt hat, in hohem Bogen aus dem Fenster geworfen zu werden. Vielleicht hat sie zusätzlich aber auch einfach den Mietvertrag von vorne bis hinten durchgelesen und sich im Internet informiert, wo mögliche Fallstricke lauern. Bewusst geworden ist ihr das sicher nicht und möglicherweise hat sie sogar weiter vor sich hin gegrummelt über die blöde Schule, die ihr angeblich nichts fürs Leben beigebracht hat, aber es steht zu vermuten, dass sie genau das angewandt hat, was sie in der Schule gelernt hat, nämlich: das Denken.

 

Auch ganz prinzipiell sollten wir uns vom Gedanken verabschieden, dass wir unseren Kindern und Jugendlichen in der Schule alles bis ins letzte Detail beibringen, was sie im Leben einmal brauchen werden. Dass das nicht nur vermessen, sondern völlig absurd wäre, leuchtet wohl jedem schnell ein: Wir wissen nicht, was die Zukunft bereithält – jede Generation wird Neues lernen müssen, das Lernen wird mit der Schule und der Universität nicht abgeschlossen sein. Lebenslanges Lernen war wohl schon immer notwendig, die Veränderungen erscheinen uns heute (wie sicher vielen vor uns) deutlich schneller als früher.

 

Dafür statten wir unsere Schülerinnen und Schüler mit dem nötigen Rüstzeug aus, nämlich mit konkreten Wissensgrundlagen und Grundfertigkeiten, die man später deutlich weniger gut und nur unter größeren Mühen erlernen könnte, sowie mit der Fähigkeit, sich auch in völlig neue Dinge einzuarbeiten oder in Dinge, die man viel später erst braucht und die sich bis dahin durchaus ändern können (wie zum Beispiel das Miet- und das Steuerrecht). In der Lage zu sein, sich Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, selbst etwas zu durchdenken und zu beurteilen – das ist das Wertvollste, was wir den kommenden Generationen mitgeben können.